Drachenkaiser
Übersinnliches, Kraftvolles in den Trümmern befand. So mächtig, dass es das Wetter beeinflusst? Ealwhina konnte nichts Besonderes an dem Ort erkennen. Merkwürdige Sache.
Wassilij drehte den Kopf zu ihr. »Er sagt, dass wir heute die Einzigen wären, die diese Gedenkstätte hier besuchen wollen, und dass sie sich die Umstände deswegen nicht machen wollen. Wir sollen wieder fahren.« »Welche Umstände?«
»Uns Begleiter mitgeben. Niemand darf ohne Truppen hinein.«
Ealwhina wusste, was die Ankündigung zu bedeuten hatte. Sie langte wieder in die Handtasche und zog ein Bündel britische Pfund heraus. »Das sollte genügen, hoffe ich.« Sie reichte es dem Fahrer, und das Geld landete in den Händen des Offiziers, der es einsteckte und Befehle brüllte.
Aus einer nahen Baracke kamen vier Soldaten angerannt, einer stieg in die Kabine eines geparkten Lastwagens, die drei erklommen die planengeschützte Ladefläche. Brummend startete der Motor, aus dem Auspuff drang dunkler Qualm.
»Unsere Eskorte?«
»Ja«, sagte Wassilij und legte krachend den Gang ein. »Er hat gesagt, wir dürfen ausnahmsweise wegen des schlechten Wetters fahren und müssten nicht laufen. Und wir sollen uns nicht zu lange bei dem Denkmal aufhalten. Die Kantine des Lokals hat nur noch eine Stunde geöffnet, falls wir etwas essen wollen.« Er fuhr los, dem Lastwagen nach.
Ealwhina nahm das Foto hervor, das den Triglav vor seiner Zerstörung zeigte. Ein Berg mit flacher Kuppe, unfreundlich und abweisend. Sie hatte sich erkundigt und Legenden über Hexen, Dämonen und Teufel gefunden, die sich in mondlosen Nächten auf ihm getroffen hatten. Modest Mussorgsky hatte seine »Nacht auf dem Kahlen Berge« dem Triglav gewidmet: wild, stürmisch und düster-feurig klangen die Töne, deren Wirkung sie sich nicht entziehen konnte. Sie hatte es zufällig vor ihrer Reise nochmals im Radio gehört.
Wo sie sich wohl heute treffen? Sie sah auf das hinaus, was die Bomben und chemisch erzeugten Flammen aus dem Ort gemacht hatten, an dem die finsteren Mächte einst miteinander getanzt hatten. Unwillkürlich dachte sie an einen schwarzen Eisberg, der in viele Teile zerbrochen war, dann an Caspar David Friedrichs Bild Eismeer.
Einzelne Segmente ragten aufrecht, mit langen Spitzen an den Enden, als wollten sie markieren, wo der Triglav gestanden hatte. An anderen Stellen lagen die Trümmer unsortiert wie in einem Steinbruch, in dem eben gesprengt worden war. Dann wiederum erkannte sie Elemente, die in ihrer eigentlichen Form erhalten geblieben waren, doch durch die Brandbomben mit einer dicken schwarzen Schicht überzogen waren. Welch bizarrer Anblick!
Der Lastwagen fuhr die sehr schmale Straße entlang, vorbei an einem Rasthof, den man für die Besucher errichtet hatte, und geradewegs zwischen den ersten Steinbrocken hindurch, die durch die Wucht der Explosionen davongeschleudert worden waren. Bald wurden die Stücke höher, überragten die Fahrzeuge; sie bildete sich ein, dass es wärmer im Wagen wurde.
Die Armee hatte einen geraden Weg angelegt, der wie durch eine Schlucht führte. Lackspuren an den Wänden zeugten davon, dass nicht jeder Fahrer mit der Enge so gut umgehen konnte wie die Soldaten des Zaren. Wasser rann an den Felsen hinab.
Der Lastwagen hielt auf einem schmalen Parkplatz an, die Soldaten sprangen von der beplanten Ladefläche herab. Der Matsch spritzte an ihren Stiefeln und langen Mänteln hoch. Einer winkte schlecht gelaunt zu ihrem Wagen.
»Warten Sie«, sagte Ealwhina. »Es reicht, wenn ich nass werde.« Sie stieg aus, spannte den Schirm auf und watete durch den Morast zu ihren Begleitern. Es ist wirklich viel wärmer. Die Steine scheinen die Hitze der Phosphorbomben gespeichert zu haben. Sie hatte für ihre Erkundung pragmatische Kleidung gewählt: einen kurzen grauen Rock mit schwarzen Stiefeln und Gamaschen, die bis zu den Oberschenkeln reichten und vor Schmutz schützten. Darüber trug sie einen braunen Kurzmantel und einen weißen Hut mit schmaler Krempe.
»Dawai, dawai«, sagte einer der Soldaten und zeigte auf den einen Schritt breiten Pfad, der mit Bruchstücken ausgelegt und somit schlammfrei war. Er tippte sich gegen das linke Handgelenk als Zeichen, dass er keine Zeit und Lust hatte, lange im Regen zu stehen.
Ealwhina lächelte ihm zu und betrat den Weg. Er wand sich an den größten Steinstücken vorbei und führte zu dem Ort, an dem das Denkmal für die gefallenen Drachenheiligen errichtet worden war. Sie sah den
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