Drachenkaiser
inzwischen zehn erlegt. Ich fürchte mich vor keinem Mann, Zar oder nicht.« Auf einen Ruf ihrer Leute hin wandte sie den Kopf nach rechts; der Feuerschein beleuchtete die Haarsträhnen und drang hindurch. Schwach erkannte Silena die schrecklichen Verbrennungen, die ihr unheilbare Narben hinterlassen hatten. »Hey! Nein, nicht den Sand! Den feuchten Sand! Der andere schmilzt. Ich hatte nicht vor, eine gläserne Landebahn zu errichten!« Leida drehte sich wieder zu Silena. »Was, wenn der Zar nichts damit zu tun hat?«
»Dann werden wir die Drachenfreunde jagen. Wer könnte sonst dahinterstecken?« Silena vermochte nicht in Worte zu fassen, wie froh sie über den Beistand war. »Diese Verbrecher müssen zur Strecke gebracht werden.«
»Dein Mann hatte schon viele Feinde.« Leida brüllte weitere Anweisungen. »Kämen vielleicht Geschuppte für den Anschlag infrage? Die Altvorderen und ihre Handlanger?« Dann grinste sie. »Nein. Wir haben sie ja so gut wie ausgerottet.«
»Das denkt das Officium auch.« Rasch berichtete Silena der Freundin vom Zusammentreffen mit Brieuc. »Sie sehen sich am Ziel ihrer Wünsche.«
»Sie dachten es zumindest, bis die Drachenfreunde sie angegriffen haben.« Die blonde Drachenjägerin, deren breites Kreuz sich mit dem eines Mannes messen konnte, verzog das Gesicht. »Aber die Viecher sind deutlich weniger geworden.« Sie wies auf den Hangar, aus dem noch immer starker Rauch quoll. »Kümmerst du dich mit deinen Leuten darum? Ich würde gern aus dem Haus retten, was noch zu retten ist, ehe die Mauern zusammenbrechen.«
»Ist gut.« Silena eilte los. Dabei fiel ihr auf, dass sie Cyrano nicht gesehen hatte. Weder ihn noch andere Gargoyles. Sie wandte sich um, um Leida nach ihnen zu fragen, aber die Freundin war schon verschwunden, um die Bergung zu koordinieren.
31. Dezember 1926, nahe der Ortschaft Ruhtin, County Denbighshire, Provinz Wales, Königreich Großbritannien
Ddraig mochte das verträumte Clwyd-Tal mit seiner sanften Auenlandschaft und den verstreuten Dörfern.
Es war kühl, sanfter Nebel schwebte über dem morgendlichen
Fluss und sickerte in die Umgebung. Der roten Drachin am nächsten lag Ruthin, die kleine Ortschaft mit der verfallenden Burg aus rotem Sandstein, die sich wie einige der ältesten Häuser auf dem Hügel befand; die neueren Gebäude ordneten sich um die Erhebung an.
Seit vielen Hundert Jahren kam sie hierher und genoss die Landschaft und deren Verschwiegenheit, die Magie des Nebels. Alles verlief hier langsamer und weniger modern. In vielen Meilen Umkreis gab es niemanden, der sich ein Automobil leisten konnte, geschweige denn überhaupt eines wollte. Fortschritt herrschte woanders.
Seit Neuestem führten Ddraig zusätzlich zu der Ruhe jedoch auch ihre Gelüste in den südlichen Teil des Tals.
Sie hob den Kopf, sog die Luft ein. Ganz in der Nähe hatte sie die Witterung eines jungen Bullen aufgenommen. Wo ist mein Schöner? Weit kann er nicht sein. Sie strich das Flussufer entlang.
Außerhalb der Paarungszeit hatte sie ihn schon einmal gestellt und ihm in einem kurzen, heftigen Kampf deutlich gemacht, dass es ihr Land war, auf dem er sich bewegte. Das war vor fünfzig Jahren gewesen. Sie benötigte keine Geschuppten, die Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiteten, schon gar nicht in ihrer Heimat Wales.
Heute durfte er Schonung erwarten. Zumindest, was das Kämpfen anging. Ihr stand der Sinn nach anderen Dingen.
Dabei ärgerte sich Ddraig über diese Phase, die sie alle paar Jahre befiel. Sie wurde unaufmerksam, reizbar und viel zu empfänglich für Ablenkung durch die Bullen. Aber sie konnte sich bei aller Schläue und trotz des Wissens, was in ihr vorging, nicht dagegen wehren. Es lag in ihrer Art.
Wieder schnupperte sie und bekam eine frische Spur. Er riecht gut. Sehr gut! Und stark. Ddraig beschleunigte ihren Lauf.
Für sie, die sich lieber in der Luft bewegte als am Boden, bedeutete es ein Zugeständnis, sich mit einem Laufdrachen einzulassen. Normalerweise hielt Ddraig sie für unter ihrer Würde, aber sie musste Abstriche machen. In Wales gab es keinen Flugdrachen, der ihr ebenbürtig war. Der Bulle in Schottland war vor ihr geflüchtet. Und in ihren neuen skandinavischen Gebieten kannte sie sich noch nicht genügend aus, um sich auf Brautschau zu begeben.
Er sollte gut aussehen, mindestens so gut, wie er riecht. Ddraig blieb stehen und witterte ein weiteres Mal, senkte den Kopf tiefer, immer weiter auf die Oberfläche des
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