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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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hätten Sie eigene Morde zu bedauern.« Der Blick des Mediums durch die Gläser wurde schärfer, tat förmlich weh. »Snickelway, haben Sie auch schon getötet? Das hätte ich nicht gedacht. Ich sehe zwar, dass Sie mit etwas belastet sind, aber wie eine Mörderin wirken Sie nicht.« Sie zuckte mit den Achseln. »Andererseits, die wenigsten Mörder erscheinen wie welche.«
    Ealwhina überlegte blitzschnell, wie sie sich aus dem Gesprächsthema winden konnte. »Belastet, so? Bestimmt mein Familienfluch.« Angriff ist die beste Verteidigung. Und es lenkt sie vom Mord ab.
    Tatsächlich sah Sigorskaja sie abschätzend an. »Soll ich versuchen, ihn zu ergründen?« »Können Sie das?«
    »Es ist eine gute Übung.« Sie zog einen Handschuh aus und legte ihre Hand in Ealwhinas Linke.
    Sehr kräftig. Ihre Haut ist rau und voller Hornhaut. Die russische Armee schont Frauen nicht. Ealwhinas Aufregung stieg, ihr wurde wärmer. Sie flüchtete sich in ein Lächeln.
    »Es ist Ihnen unangenehm, dass ich in Ihr Privatleben eindringe«, sagte Sigorskaja zufrieden. »Sie versuchen in diesem Augenblick, Dinge vor mir zu verbergen. Wahrheiten zu verbergen …«
    »Wollten Sie nicht den Fluch ergründen?« Sie zog ihre Finger etwas zurück. »Alles andere möchte ich nicht!«
    Sigorskaja lachte. »Ich bin zu neugierig. Es liegt an meiner Arbeit. Anfangs sind alle davon überzeugt, dass ich ihre Geheimnisse nicht aufspüre, und je mehr sie sich wehren, desto besser werde ich. Wie ein Wolf auf der Jagd, an der Kehle eines Schafs. Wenn Sie schon so viele Menschen verhört hätten wie ich …« Sie ließ den Satz offen, die Augen richteten sich auf Ealwhinas rechte Schläfe. »Ich fühle eine starke Verbindung zu einem Ort«, sagte sie. Ihre Stimme wurde heiser, brüchig. »Es ist York. Natürlich. Der Fluch, von dem Sie sprachen …« Sie packte die Finger fester, doch ihr Blick wirkte abwesend. »Ich sehe ihn als weißliche Linie, eine Art… Leine aus Ektoplasma! Sie sind an diese Stadt gebunden wie ein Hund an seinen Herrn.« Ihr Blick klarte auf. »Sie tragen wirklich einen Fluch auf sich. Das hat mich überrascht. Was passiert, wenn diese Leine reißt?«
    Ealwhina konnte darauf nicht antworten.
    »Sie wissen es nicht. Aha. Aber Sie sind bis zum Triglav gereist und wieder zurück«, sinnierte die Russin. »Das bedeutet, dass vermutlich nicht die Entfernung eine Rolle spielt, sondern die Dauer, habe ich recht?«
    Ealwhina bereute es bereits, überhaupt das Wort an sie gerichtet zu haben. Das Schnüffeln lag dem Medium im Blut. »Danke«, sagte sie und löste sich von ihr – oder besser gesagt, sie wollte es. »Was genau ist der Nutzen der Brille, die Sie …«
    Aber Sigorskaja ließ nicht los, im Gegenteil. Die kräftigen Finger packten zu. »Ich bin besessen davon, mehr über meine Mitmenschen herauszufinden«, sagte sie mit leuchtenden Augen. »Es ist ein Zwang, und ich gebe mich ihm gerne hin.«
    »Oh, ich möchte es aber nicht!« Ealwhina versuchte es mit mehr Gewalt. Noch erschien es ihr zu früh, auf ihre besonderen Fertigkeiten zurückzugreifen, sonst wäre die Überraschung in einer gefährlicheren Lage dahin.
    Die Russin hielt eisern dagegen, ein Schraubstock war kein Vergleich zu ihrem Griff. »Sie wissen es wirklich nicht«, sagte sie mit Verwunderung. »Finden wir es doch heraus. Wie viele Tage können Sie es abseits von York aushalten?«
    »Mehr als eine Woche war ich niemals weg.«
    »Und was geschieht mit Ihnen, wenn Sie der Leine nicht folgen können?« Sigorskaja berührte mit ihrer freien Hand Ealwhinas Kehle. »Schnürt es Ihnen die Luft ab? Bekommen Sie fürchterliche Ängste? Was tut der Fluch mit Ihnen, Snickelway?«
    »Ich sagte schon …«
    »Wenn es ein Familienfluch ist, wird es doch Aufzeichnungen geben, die Sie gelesen haben.« Das Medium legte den kleinen Finger an Ealwhinas Schläfe. »Lassen Sie mal sehen.«
    Sie zuckte zurück. »Hören Sie sofort auf damit!«, schnauzte sie.
    »Mir ist nicht danach.« Sigorskaja sagte etwas auf Russisch, und die Soldaten hielten Ealwhina fest. Noch mehr Schraubstöcke. Kaum hatte die Frau mit ihrer mentalen Suche begonnen, veränderten sich ihre Züge. Ein Schatten verfinsterte ihr Gesicht und gab ihr etwas Gefährliches. Sie wirkte nahezu diabolisch.
    Bleib ruhig, sagte sich Ealwhina und spürte Furcht. Warte noch mit deinem Befreiungsschlag.
    »Sie haben den Fluch als Rache erhalten«, sagte Sigorskaja mit säuselnder Stimme, die so gar nicht zu ihrer Miene

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