Drachenkampf
nur noch Agnès, ehrwürdige Mutter.«
»Agnès … Ja, das ist traurig. Gut, dass Ihr mich korrigiert«, erwiderte die Ordensvorsteherin in einem Ton, der das Gegenteil zu verstehen gab. »Es fällt mir bloß schwer, die Novizin zu vergessen, die Ihr einmal gewesen seid. Ihr wart so vielversprechend! Und was für eine Wölfin aus Euch geworden wäre!«
Klug, wie die junge Baronin von Vaudreuil war, erwiderte sie nichts darauf, sondern wartete schweigend ab.
»Aber der Tag wird kommen, an dem Ihr begreift, was Eure wahre Bestimmung ist …«, fügte die ehrwürdige Nonne mehr zu sich selbst hinzu. Dann verkündete sie mit herrischer, feierlicher Stimme: »Madame, Eure Dienste werden am Hof der Königin benötigt, also werdet Ihr Euch unverzüglich ihrem Gefolge anschließen. Dass Ihr dazu auserkoren wurdet, verdankt Ihr Euren Begabungen und den Fähigkeiten, die sich im Laufe Eures Noviziats gezeigt haben und die zu vernachlässigen Ihr leider vorgezogen habt. Aber dennoch genießt Ihr unser volles Vertrauen …«
Etwas später im Hof des Hôtel de Chevreuse half Laincourt einer entzückten Aude de Saint-Avold gerade in die Kutsche, als er einen Blick im Nacken spürte.
Er wandte sich um und konnte gerade noch sehen, wie im ersten Stock des Hauptgebäudes ein Vorhang zufiel und ein hageres und ebenso fahles Gesicht verbarg.
Der Alchemist der Schatten ließ den Vorhang los und wandte sich in dem Moment wieder vom Fenster ab, in dem die Herzogin von Chevreuse das Zauberkabinett betrat.
»Ihr werdet sie heute Abend kennenlernen«, versprach sie ihm. »Aber zur Stunde möchte ich Euch schon einmal umgehend eine exzellente Neuigkeit verkünden: Unser Schützling wird sich schon bald dem Gefolge der Königin anschließen.«
»Was? So schnell? … Aber wie habt Ihr das arrangiert?«
»Die Vorsehung, Monsieur Maudit. Die Vorsehung … Heute hat man mich um einen Gefallen gebeten …«
»›Man‹?«
»Kardinal Richelieu, aber über einen Mittelsmann … Kurzum, der Kardinal hat mich gebeten, die Aufnahme einer entfernten Verwandten ins Gefolge der Königin zu unterstützen.«
»Der König hat die Freiheit, in den Hofstaat der Königin zu berufen, wen er will, und ebenso, ihn wieder zu entlassen.«
»Aber die Königin kann denjenigen, die man ihr aufdrängt, die kalte Schulter zeigen. Und eine derartige Behandlung möchte der Kardinal seiner Verwandten ersparen, indem er mich bat, sich zu ihren Gunsten einzusetzen. Ich glaube ebenso, dass es dem Kardinal dabei auch darum geht, abzuschätzen, wie wohlgesonnen ich ihm bin …«
»Und Ihr habt eingewilligt …«
»Selbstverständlich. Aber verbunden mit der Bitte, dass auch einer meiner Schützlinge ins Gefolge der Königin aufgenommen wird. Immerhin bin ich die Herzogin von Chevreuse. Man würde sich wundern, wenn ich Gefallen erwiese, ohne eine Gegenleistung dafür zu bekommen.«
»Gratulation.«
»Danke, Monsieur. Und von Eurer Seite?«
»Alles ist vorbereitet. Allerdings …«
»Was?«
»Diese Verwandte des Kardinals, wer ist sie?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Eine Spionin?«
»Kein Zweifel, schon aus dem einfachen Grunde, dass dieses Manöver ganz der Art des Königs entspricht. Er ist der Königin nicht mehr sehr zugetan, möchte aber alles wissen, was sie so treibt. Bestimmt, um sicherzugehen, dass sie nicht glücklich ist …«
Der Blick der Herzogin hatte sich verhärtet: Sie hasste den König.
»Also könnte uns diese Spionin schaden«, sagte Maudit.
»In der kurzen Zeitspanne, die bis zum Ball noch bleibt? Ich bitte Euch … Wenn der Moment gekommen ist, wird es genügen, sie von unseren … Arrangements fernzuhalten.«
Der besorgte Alchemist schwieg.
Mirebeau kehrte erst am späten Nachmittag zurück.
Drei Stunden zuvor war er davongeritten, ohne zu sagen, wohin, und ohne, dass er Leprat angeboten hätte, ihn zu begleiten. Also hatte dieser im Haus in Ivry auf ihn gewartet, und seine einzige Gesellschaft war Bertrand gewesen, der griesgrämige Diener des Chevaliers, und eine übersetzte Ausgabe des Decamerone . Er durfte sich zwar frei bewegen, zog es aber vor, im Garten zu bleiben. Vielleicht überwachte man ihn, und er wollte niemanden in Bedrängnis bringen.
Als er hörte, dass sich Pferde näherten, erhob sich Leprat von seinem Bett, wo er gelesen hatte, um einen Blick aus dem Fenster seines Zimmers in der ersten Etage zu werfen. Auf dem Weg dorthin nahm er seinen Degen zur Hand, platzierte sich seitlich vom Fenster, um nicht
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