Drachenkampf
bedauerten, dass sie zweifellos niemals Vaterfreuden erleben würden.
Sie konnten die Hauptstadt riechen, noch bevor sie sie sehen konnten, und bereuten schon bald, keinen großen Bogen um sie gemacht zu haben. Zugegeben, ganz Paris miefte unter der brennenden Sonne vor sich hin. Aber nirgends roch es übler als rund um die Rue Mouffetard , wo es einem glatt die Tränen in die Augen trieb. Denn die Bièvre – die durch das Viertel floss, bevor sie in die Seine mündete – lockte allerlei Berufsstände an, die einen hohen Wasserverbrauch hatten, darunter die Gerber und Kürschner, die sowohl den Fluss als auch die Luft verschmutzten.
Das Stadttor zu Saint-Michel zu passieren, stellte also eine große Erleichterung dar, trotz des Geruchs der alten Latrine, die sich innerhalb der Stadtmauer befand. Leprat und Mirebeau konnten wieder atmen, ohne sich die Hände vor die Nasen halten zu müssen, und nahmen die Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève bis zur Place Maubert . Sie überquerten den kleinen Arm der Seine am Pont-au-Double . Dort wurde ein Wegzoll fällig, den Mirebeau bezahlte. Dann ritten sie an Notre-Dame vorbei, durchquerten das mittelalterliche Labyrinth der Île de la Cité und erreichten das rechte Seineufer über den Pont-au-Change , der sie direkt vor das Grand Châtelet führte.
Leprat wusste nicht, wohin sie unterwegs waren.
Als Mirebeau an jenem Morgen, nach einigen Tagen des Müßiggangs, verkündet hatte, dass sie am Nachmittag in Paris sein mussten, hatte er sich geweigert, Leprat mehr zu verraten – jedoch auf freundschaftliche Weise. Es ging nicht mehr darum, Leprat zu misstrauen, sondern darum, ihm eine Überraschung zu bereiten.
Eine gute Überraschung.
Der Musketier hatte das Spiel mitgespielt, aber insgeheim die Hoffnung genährt, sie begäben sich ins Hôtel de Chevreuse , um dort die Herzogin zu treffen. Doch diese Hoffnung musste er aufgeben, sobald sie an Châtelet vorbei waren, denn anstatt sich nach Westen zu wenden, um der Rue Saint-Honoré bis zur Rue Saint-Thomas-du-Louvre zu folgen, nahmen sie die Rue Saint-Denis nach Norden, bogen hinter dem Friedhof Saints-Innocents ab, ritten an Les Halles vorbei und schwenkten, die Kirche von Saint-Eustache zu ihrer Rechten, in die Rue Traînée ein.
Als er Leprat aus den Augenwinkeln beobachtete, musste Mirebeau lächeln. Er hatte tatsächlich bis zum letzten Moment nicht die geringste Ahnung, wohin sie unterwegs waren.
Erst als sie vor dem monumentalen Portal angelangt waren, begriff er.
»Ins Hôtel de Châteauneu f ?«, fragte Marciac erstaunt.
Er schaute zu La Fargue hinüber und richtete den Blick dann wieder auf Leprat, der bestätigte: »Zum Marquis de Châteauneuf, ja.«
Sie hatten sich an diesem Abend in der Rue Cocatrix auf der Île de la Cité versammelt. Der Ort war nichtssagend: ein einfaches gemietetes Zimmer unter dem Dach mit rissigen Mauern, einem groben Holzboden und einem Bett ohne Baldachin oder Vorhang, einer Kleidertruhe, einem kleinen Toilettentisch, einem frisch mit Stroh bespannten Stuhl, einem fleckigen Spiegel und einem Kruzifix. Alles wirkte eher dürftig, aber mit dem Sold eines Musketiers konnte man sich nicht mehr leisten. Doch der Hauswirt war freundlich und die Nachbarn unaufdringlich.
Und Leprat fühlte sich dort mehr zu Hause als irgendwo sonst.
»In Wahrheit«, erklärte er, »gehört Mirebeau weder Madame de Chevreuse noch ihrem Mann an. Er folgt Châteauneuf, und dieser hat ihn der Herzogin für ihre … Angelegenheiten zur Verfügung gestellt.«
Eine einfache Kerze erhellte die Gesichter der drei Männer. Die Nacht war noch nicht angebrochen, aber im Zimmer musste man bereits Licht machen. Leprat saß auf seiner Truhe, La Fargue hatte rittlings auf dem umgedrehten Stuhl Platz genommen, und Marciac lehnte mit verschränkten Armen an der Wand neben dem schief hängenden Kruzifix.
»Châteauneuf und die Chevreuse sind Geliebte, das ist kein großes Geheimnis«, stellte der Hauptmann der Klingen fest. »Aber was du da entdeckt hast, ist eine ganz andere Sache …«
Charles d’Aubespine, Marquis de Châteauneuf, war französischer Botschafter in Holland, Italien und England gewesen. Er galt als ergebener Anhänger von Richelieu, der seine Loyalität im Jahre 1630 damit belohnt hatte, dass er ihn zum Hüter der Siegel gemacht hatte. Mit seinen dreiundfünfzig Jahren war er somit einer der wichtigsten Männer im Königreich. Aber er war auch ein alter, etwas lächerlicher Schönling, der nicht
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