Drachenkampf
Lügen, Argwohn, Verrat, Intrigen und Mord gelebt hatte. Er dachte an diese Welt der Verstellung, in der man nie zur Ruhe kommen durfte und die ihm nach und nach die Seele zerfressen hatte. Er dachte an all jene, die darin ihr Leben gelassen hatten. Vor allem musste er an einen alten Leierkastenspieler denken, der nichts als einen gebrechlichen Dragun hinterlassen hatte.
»Mach dir keine Sorgen um mich, Junge.«
»Darf ich nicht um dich trauern?«
»Doch, natürlich. Aber ich möchte nicht, dass du dir meinen Tod zum Vorwurf machst. Du weißt, es war nicht deine Schuld, dass ich umkam.«
»Aber ich bin am Leben. Du dagegen …«
»Na und?«
Laincourt betrachtete den leeren Hocker gegenüber.
Es war derselbe, auf dem der Leierkastenspieler bei ihren geheimen Treffen immer gesessen war, und der junge Mann hatte das Gefühl, als sei der Stuhl nun wieder besetzt. Er sah den schmutzigen Alten mit seinen zerschlissenen Kleidern und dem altmodischen Umhängeinstrument deutlich vor sich. Der Mann lächelte, aber sein Gesicht war geschunden und blutüberströmt. Laincourt konnte sich nur noch so an ihn erinnern, also so, wie der Leierkastenspieler aussah, als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
»Ich habe den Edelmann mit dem beigen Wams wiedergesehen – jenen, der mich seit einigen Tagen verfolgt und sich nicht darum kümmert, dass er gesehen wird. Er war auf dem Pont-Neuf. Und ich weiß, dass er später beim Buchhändler Bertaud war …«
»Du wirst ihn nicht mehr lange ignorieren können.«
»Pah!«
»Nur weil du den Intrigen abgeschworen hast, heißt das nicht, dass sie auch dir abgeschworen haben. So funktioniert die Welt nun mal nicht … Und außerdem hattest du unrecht.«
»Unrecht?«
»Als du das Angebot des Kardinals ausgeschlagen hast.«
»Der Kardinal hat mir nichts angeboten.«
»Junge, ich bitte dich! Glaubst du, dass La Fargue dir angeboten hätte, seinen Klingen beizutreten, ohne die Unterstützung Seiner Eminenz? … Du hättest nicht ›Nein‹ sagen dürfen.«
Laincourt fühlte sich plötzlich müde und wandte seinen Blick ab.
Für die anwesenden Personen in der Taverne war er nichts weiter als ein einsamer junger Mann, dessen Dragun geduldig darauf wartete, dass er ausgetrunken hatte.
Im Jahre 1633 musste man, um vom Louvre zum Palais-Cardinal zu gelangen, nur die Rue d’Autriche entlanggehen, dann nach links in die Rue Saint-Honoré einbiegen und ihr bis zum Ziel folgen.
Die erste Schwierigkeit bestand allerdings darin, den Louvre überhaupt zu verlassen, der eine mittelalterliche Festung gewesen war, bevor er ein Palast wurde. Daher hatte sein Hof nur einen öffentlichen Ausgang: ein so dunkles Gewölbe, dass ein Edelmann darin eines winterlichen Morgens Henri IV. angerempelt hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dieses Gewölbe war zwölf Meter lang und wurde von einem Tor verschlossen, das nach Osten wies. Es war das Haupttor, durch das die königlichen Kutschen fuhren und vor dem sich von morgens bis abends eine Menge versammelte. Es wurde von zwei Türmen flankiert und befand sich über einem stinkenden Graben, den man nur über eine schmale Brücke queren konnte, die von einem imposanten, befestigten Tor verschlossen wurde.
Wenn man dieses Tor überwunden hatte, hatte man den Louvre zwar verlassen, war damit jedoch noch längst nicht aus dem Schneider. In der Rue d’Autriche , einem Gässchen, das senkrecht auf die Seine zulief und sich zwischen dem Quai de l’École im Süden und der Rue Saint-Honoré im Norden erstreckte, stellte sich einem nämlich noch das große Stadttor zu Bourbon entgegen.
Die Enge der Straßen machte das Fortkommen in Paris überall beschwerlich. Aber auf der eher unzulänglichen Rue d’Autriche begegneten sich all jene, die zum Louvre wollten oder die ihn verließen. Und zu allem Überfluss verstopften noch unzählige wartende Kutschen das Pflaster, denn die Erlaubnis, mit Gefährten ins Innere des Louvre zu fahren, erhielten – mit Ausnahme von Gesundheitsgründen – nur einige Personen von Rang sowie ausländische Herrscher. So gehörten Unannehmlichkeiten, Zusammenstöße und Auseinandersetzungen zur Tagesordnung auf der Rue d’Autriche , wo man mehr auf der Stelle trat, als dass man in dem Heidenlärm aus Rufen und Beschimpfungen, aus Pferdewiehern, Hufgeklapper und dem Knirschen der Achsen vorangekommen wäre.
Also war man erleichtert, wenn man auf dem Weg zum Palais-Cardinal die Rue d’Autriche verlassen konnte, um in die Rue
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