Drachenkampf
köstlich«, hauchte Alessandra. Mit beiden Händen hielt sie Leprat die Tasse an den Mund. »Da, probiert nur …«
Ihre Blicke trafen sich, der eine verführerisch, der andere erregt.
Für einen langen Moment hätte der frühere Musketier der Versuchung beinahe nachgegeben …
… doch die Kammerzofe, die klopfte und gleich darauf eintrat, brach den Zauber. Sie brachte die Handschuhe, den Mantel und den Hut der Italienerin. Obgleich sie Leprat, der sofort zurücktrat, überrascht hatte, tat sie so, als hätte sie nichts gesehen.
»Pah!«, schnaubte Alessandra schulterzuckend und machte auf dem Absatz kehrt. »Sie ist sowieso schon kalt …«
Auf der Freitreppe traf Leprat wie üblich auf den Butler vom Jagdschloss Fuchsbau, der dort bereits wartete.
»Monsieur.«
»Guten Morgen, Danvert.«
Gemeinsam beobachteten sie, wie die vornehme Kutsche die Brücke über den Schlossgraben passierte und in den Hof des Anwesens fuhr. Zwölf Reiter eskortierten den Wagen, allesamt mit Degen und Musketen bewaffnet, allesamt Kardinalsgarden, die für diesen heiklen Einsatz jedoch nicht ihren charakteristischen Umhang trugen. Sie wurden angeführt von Monsieur de La Houdinière, dem neuen Hauptmann der Kompanie und Nachfolger von Sieur de Saint-Georges, der einen Monat zuvor verstorben war, unter Umständen, die so ehrenrührig waren, dass sie zur allgemeinen Zufriedenheit geheim blieben.
Die Kutsche hielt seitlich am Fuße der Treppe. La Houdinière schwang sich aus dem Sattel und ging auf Leprat zu. Sie schüttelten sich die Hände wie Männer, die sich schätzten, es sich jedoch nicht erlauben konnten, Freundschaft zu schließen. Immerhin gehörte der eine der Leibgarde Seiner Eminenz an, während der andere ein Musketier des Königs war – auch wenn er vorerst auf den Umhang der Musketiere verzichtet hatte. Zwischen den beiden Korps bestand eine althergebrachte Rivalität. Und diese Tradition war lebendig: Es verstrichen selten zwei Wochen, ohne dass sich ein Mitglied der Kardinalsgarde und ein Musketier aus irgendeinem Grunde duellierten.
La Houdinière und Leprat jedoch schätzten sich.
Sie kannten sich, seit sie im Jahr zuvor Seite an Seite ge kämpft hatten, als Louis XIII. an der Spitze seiner Armee – zum zweiten Mal – auf Nancy vorrückte, um dem Herzog Charles IV. von Lothringen mehr Respekt vor seiner Person einzuflößen. Und das, obwohl ein lothringisches Reiterregiment noch immer einen der Übergänge über die Maas ganz in der Nähe der Quartiere des Königs – und zu seinem Schutze – bewachte. Die Kriegshandlungen hatten also noch gar nicht offiziell begonnen, und Charles IV. führte sogar weiter Verhandlungen. Aber Louis XIII. wollte einen Eklat als Machtdemonstration. Also stellte man Elitesoldaten aus dem Regiment von Navarra, der Gendarmerie, der Chevaulegers, der königlichen Musketiere und der Leibgarde des Kardinals unter den Befehl des Grafen von Allais. La Houdinière, der damals noch ein einfacher Leutnant gewesen war, und Leprat gehörten auch dazu. Überrumpelt und in die Enge getrieben, gerieten die Lothringer schon bald in Panik und erlitten eine schwere Niederlage, bei der es sich genau genommen um ein wahres Massaker handelte, dem nur wenige entkamen.
Auch danach waren sich die beiden Männer oft über den Weg gelaufen, aber sie hatten nie zusammengearbeitet wie jetzt. Nun teilten sie sich die Verantwortung für die Italienerin, Leprat auf Fuchsbau und La Houdinière während der täglichen Fahrten nach Châtelet in Paris, wo die Spionin verhört wurde. Also begegneten sie sich zweimal am Tage, wenn einer den anderen ablöste.
»Alles in Ordnung?«, fragte La Houdinière.
»Ja«, antwortete Leprat. »Irgendwelche Anweisungen aus dem Palais-Cardinal ?«
»Keine.«
Dann schwiegen sie.
In einen Umhang mit Kapuze gehüllt erschien kurz darauf Alessandra, gut gelaunt und entspannt. La Houdinière war ein Edelmann, hielt ihr den Kutschenschlag auf und bot ihr die Hand, um ihr beim Besteigen der Kutsche zu helfen. Dann saß er wieder auf sein Pferd auf, und nach einer letzten an Leprat gerichteten Ehrbezeigung gab er den Befehl zum Aufbruch.
Der ehemalige Musketier sah der sich entfernenden Kutsche und ihrer Eskorte noch einen Moment lang nach. Er war müde, hatte aber noch keine Zeit, sich auszuruhen.
Er wandte sich an Danvert, den Butler, der unbeweglich und unerschütterlich wartete.
»Gehen wir«, sagte er und begab sich nach drinnen. »Es gibt viel zu tun.«
Die alte Frau
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