DrachenKind: Gegen die Finsternis (German Edition)
Sicherheit. Es sei denn, er änderte etwas. Soviel hatte er verstanden, aber was er da verstanden hatte, brachte neue Fragen, die er nicht verstand, ganz zu schweigen von den Antworten. Er schüttelte sich, freute sich über seine eigene Wärme, seine Energie. Dann streckte er sich, soweit das möglich war, löste die Umklammerung der Felsspitze mit seinem Schwanz und stürzte sich in die Tiefe.
Die Flügel dicht am Körper anliegend, beobachtete er die ersten Baumkronen des steilen Abhangs, wie sie auf ihn zu flogen, immer schneller und schneller. Es war wirklich ein hoher Berg. Er zählte die Zeit, seine Augen maßen sorgfältig die Entfernung. Drei Kilometer, vier, fünf…Die Zahl wuchs und wuchs. Als er bei elf Kilometern angelangt war und schon seit einigen Minuten flach über den nun mit Gras bewachsenen Hang nach unten schoss, kamen die Bäume plötzlich so schnell näher, dass er einen Schrecken bekam. Er faltete die Flügel aus und fing seinen Fall in einem großen Bogen ab, stieg in einer langen, eleganten Kurve aufwärts, wenige Meter über den Baumkronen, die in der Mittagssonne aus solcher Nähe noch viel leuchtender wirkten. Er sauste über den ewigen Wald, der sich gerade eben als nicht ewig entpuppt hatte. Zwischen den Bäumen war der Waldboden kaum zu erkennen, aber wenn er einen Blick werfen konnte, sah er haufenweise Füchse, Pilze, und manchmal sogar kleine Bäche und Flüsse. Er verliebte sich in diesen Wald, spürte seine Kraft, seine Fähigkeit zu beschützen und zu heilen. Mia hatte einmal gesagt:
„Ein gesunder Wald, der von den Menschen geachtet wird, kann dir alles geben, was du zum Leben brauchst…Alles.“
Eric freute sich über die zurückerlangte gute Laune und die innerliche Ruhe so, als ob er nie etwas Anderes derart vermisst hätte. Er hob wieder den Kopf, beschloss einen Bogen um die Route zu fliegen die er auf dem Hinweg genommen hatte. Er drehte scharf nach rechts, beschleunigte und zog sich mit heftigen Schlägen dichter unter die weißen, kleinen Federwolken. Seine tiefblauen Schuppen reflektierten die Sonne nur zum Teil, den Rest der Energie nahm er in sich auf, atmete sie förmlich ein; der feuchte, duftende Atem des Waldes, der Geschwindigkeitsrausch der Freiheit. Besser ging es gar nicht. Er erreichte beinahe dieselbe Geschwindigkeit wie bei der Anreise, als er versucht hatte seinen Frust loszuwerden. Aber dieses Mal hatte er einen klaren Kopf, nahm alles auf was er mitbekommen konnte, prägte sich jeden Baum und jedes Blatt ein.
Seine Gedanken waren nur noch auf die Landschaft gerichtet. Und auf seine Begierde nach neuem Wissen. Er musste die Regeln dieser Welt erfahren. Er hatte sich für dieses Leben entschieden um zu lernen, wie man die Entscheidungen der Menschen verstehen konnte. Und Verständnis beruhte auf Parametern, die gezwungenermaßen an Regeln gebunden waren. Anders konnte keine Handlung erfolgen, war keine Existenz möglich. Er philosophierte weiter, es machte ihm Spaß. Er suchte nach einer realen Konstante im Leben, einem Faktor, der sich nie veränderte, dem Grundstein aller Geschehnisse. Es dauerte lange, bis er die richtigen Gedanken geordnet hatte. Eine Stunde, vielleicht zwei, suchte er nach einer Lösung, die ihm klar machen konnte, was die Verhältnisse zwischen Aktion und Reaktion seiner Feinde bestimmen mochte. Dafür fiel ihm nur ein einziges Wort ein, welches zugleich die Antwort auf die Suche nach der Konstante des Lebens darstelle: Kausalität. Er grinste. Sein Verstand taugte doch noch was. Er hatte den ersten Schritt gemacht, nichts konnte existieren, ohne dem Prinzip der Kausalität zu unterliegen. Das ging einfach nicht. Es war so simpel, so logisch, und doch hatte er so lange gebraucht, um das zu verstehen, zu durchschauen. Jetzt fehlte der Rest, die Variable, die das Leben bestimmte. Kausalität erschuf es, eine Variable bestimmte es. Oder doch nicht? Gab es konstante Variablen? Also konstante Veränderbarkeit? Er wusste nicht, ob ihn sein Deutschlehrer das so hätte sagen lassen,
konstante Variable…
Aber das interessierte ihn wenig. Für ihn war klar, dass das keine Frage wert war. Die Natur befand sich in ständiger Veränderung, sie unterlag dieser. Und diese Variable, vielleicht wie ein X in einer Gleichung, war von den Menschen völlig unkontrolliert verändert worden. Die Gleichung ging nicht auf, sie kippte. Also musste auch das System, welches sie erschaffen hatte, einen Konflikt feststellen. Und das, was ihr folgte. Oder
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