Drachenkinder
Gemeindesälen gefahren, um unsere Vorträge zu halten, auf das Elend der Afghanen aufmerksam zu machen. Damals, als ich noch an das Gute im Menschen geglaubt und mir eingebildet hatte, die Welt wenigstens ein bisschen zum Besseren hin verändern zu können.
All das sollte umsonst gewesen sein? Ja, mehr noch, zu einem neuen Krieg mit neuen Opfern geführt haben?
Mir war weder nach Weihnachten noch nach Silvester zumute. Im kommenden Jahr würde ich sechzig werden. Fast die Hälfte meines Lebens hatte ich für Afghanistan geopfert – und jetzt sollte mein Engagement so enden?
Als ich wieder etwas zu Kräften gekommen war, fasste ich einen Entschluss.
»Micki, ich gebe nicht auf. Ich weiß jetzt, was ich tun werde: Anwar und ich fahren jetzt nach Berlin zur afghanischen Botschaft. Dort zeigen wir Dadgul an.«
44
Die Villa in Berlin-Grunewald war beeindruckend.
»Voll der Pomp!«, staunte Anwar, als wir Mitte Januar über den breiten Kiesweg durch den gepflegten Park auf die hell erleuchtete Botschaft zuschritten.
»Klar«, sagte ich. »Afghanistan ist ja auch ein reiches Land!«
»Wie?«, fragte Anwar verwirrt.
»Ach, vergiss es. Das sollte ein Scherz sein.«
Die Leiterin der Botschaft nahm die Anzeige gegen Dadgul auf und telefonierte mit dem Außenministerium in Kabul. »Frau Schnehage fordert Grundstücke, Immobilien und Fahrzeuge zurück! Mir liegt hier eine schriftliche Anzeige vor!«
Daraufhin musste der afghanische Generalstaatsanwalt tätig werden, ein offizielles juristisches Verfahren würde eingeleitet.
»So!«, sagte ich zu Anwar, als wir wieder davonstiefelten. »Das wäre erledigt. Und ich finde, das müssen wir feiern. Wo gehen wir essen?«
»Kudamm?«, fragte Anwar schüchtern. »Ich habe große Lust auf Rindfleisch.«
»Ach, du meinst, auf dem Kuh-Damm wachsen die Steaks auf Bäumen?«
»Ach, Mama, ich freu mich, dass du endlich wieder gute Laune hast!«, sagte Anwar.
Wenige Tage später rief ein wutschnaubender Dadgul in Bergfeld an. Er hatte wohl prompt Ärger bekommen.
»Mama, ich habe dich gewarnt!«, brüllte er hasserfüllt ins Telefon. »Du willst es nicht gut sein lassen? Dann lasse ich es auch nicht gut sein!«
»Dadgul, leg dich nicht mit einer Sybille Schnehage an! Glaubst du, ich lasse mir von dir mein Projekt zerstören?!«
»Das mit Anwar, Nias und Said war also noch nicht genug? Soll ich die anderen Schwachköpfe noch in eine Falle laufen lassen?«, kreischte Dadgul. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«
Ich schloss gequält die Augen. Gar nicht darauf eingehen!, beschwor ich mich. Keine Angst zeigen.
»Du kannst dich schon mal warm anziehen«, ging ich zum Gegenangriff über. »Diesmal habe ich die besseren Karten! Die Behörden waren bereits bei dir, und es hat eine Hausdurchsuchung gegeben. Stimmt’s?!«
Dadgul war so aggressiv wie ein Tier, das in die Enge getrieben wird. »Auch du wirst noch eine Hausdurchsuchung bekommen!«, drohte er. »Ich zeige dich an!«
»Dadgul, du redest dummes Zeug!«
»Du wirst schon sehen, was passiert«, brüllte er mit sich überschlagender Stimme. »Ich werde dich zerstören!«
»Das kannst du gar nicht. Ich habe nichts Unrechtes getan.«
»Ich werde sagen, dass du es mit Anwar treibst!«, behauptete Dadgul dreist. »Und dass du es auch mit mir getrieben hast.«
»Dadgul, du weißt genau, dass das nicht stimmt. Das ist Schwachsinn.«
»Das wird deine Vereinsmitglieder sehr interessieren! Und deine prominenten Schirmherren aus den Ministerreihen. Die werden dir sämtliche Ehrungen wieder abnehmen!«
»Ach, Dadgul, du armseliger Wurm!«
»Ich werde die Presse informieren!«
»Du kotzt mich an, Dadgul!«
»Nicht nur DU hast Fotos gemacht. Auch ich! Von dir im Badeanzug und als du so krank warst. Und wehe, du kommst noch einmal nach Kunduz, dann …«
»Darauf antworte ich nicht!«
»Du wirst schon sehen, was du davon hast.« Nach noch ein paar heftigen Schimpftiraden legte er auf. Ich stand lange wie angewurzelt da, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Dann beruhigte ich mich wieder. Solange ich in Deutschland war, konnte Dadgul mir nichts anhaben.
»Sybille, hast du schon Kartoffeln geschält?«
»Nein, heute gibt’s Reis. Warum?«
Micki stand bleich in der Küchentür. Er hielt die Zeitung in der Hand, und seine Finger zitterten.
»Sonst könntest du sie hier drauf schälen!« Er schlug mit der flachen Hand auf die Titelseite, auf der mein Konterfei prangte. Es war ein Foto von der Preisverleihung in
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