Drachenkinder
E-Mail, aber nicht von hundert, sondern nur von sechzig Bädern.
»Dadgul, wo sind die anderen Unterlagen, es fehlen noch vierzig Bäder. Oder war die Datei zu groß? Dann schick die anderen Belege morgen.«
»Nein, das geht nicht, die habe ich nämlich gar nicht gebaut«, sagte Dadgul ungerührt. Ich fing an zu zittern. Was? Das konnte doch nicht sein.
Ich rief Dadguls Cousin Khaista Khan an, der ebenfalls in das Bauprojekt involviert war. »Ja, das Geld für weitere vierzig Bäder habe ich nie bekommen, das hat Dadgul selbst behalten«, bestätigte er mir.
Ich explodierte fast vor Wut. Wieder rief ich Dadgul an und schrie: »Das kannst du doch nicht machen!!«
»Doch, ich kann, ich habe das Geld dringend für meine Familie gebraucht! Ich habe hier eine gewisse Stellung im Dorf, und wie stehe ich denn da ohne neue Küche und neues Auto?«
»Dann bist du hiermit entlassen!« Meine Stimme überschlug sich, und ich knallte den Hörer auf.
Wenige Stunden später klingelte mein Telefon erneut. Tadj, Anwars Bruder, war dran.
»Dadgul war bei mir und hat mir den Schlüssel zu Anwars Haus weggenommen. Anschließend hat er den ganzen Besitz der NGO geklaut. Computer, Kamera, einfach alles.«
Ich war fassungslos. Mein Adrenalinpegel hatte einen Höchststand erreicht.
Jetzt musste alles ganz schnell gehen. Sofort rief ich beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an und bei den deutschen Hilfstruppen in Afghanistan: »Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Dadgul Delawar ab sofort nicht mehr Projektleiter von Katachel e . V. ist! Er hat Spendengelder veruntreut und vermutlich auch Urkunden gefälscht. Es gibt Hinweise darauf, dass er mir und der gesamten Familie Mahmad ans Leben will!«
»Das geht uns nichts an.« Der Oberstleutnant klang reichlich reserviert.
»Wie bitte? Aber Sie sind doch dazu da, in Afghanistan für Ruhe und Frieden zu sorgen!«
»Das tun wir auch, auf unsere Art, Frau Schnehage. Wir mischen uns nicht in innere Angelegenheiten von Nichtregierungsorganisationen ein. Also mischen Sie sich bitte auch nicht in unsere.«
»Mach ich ja nicht, verdammt!« Wenn mich dieser Blödmann anschnauzte, schnauzte ich eben zurück! Micki legte beschwichtigend seinen Arm auf meine Schulter.
»Ich will nur nicht, dass Sie weiterhin Geschäfte mit Dadgul Delawar machen!«
»So viel ich weiß, ist er unser Ansprechpartner für den Einkauf von Souvenirs und so weiter«, sagte der Oberstleutnant ungerührt. »Er spricht ziemlich gut Deutsch und hilft unseren Soldaten bei Besorgungen.« Er räusperte sich. »Zu uns ist er immer sehr nett!«
»Ja, ihr Idioten! Er ist zu allen nett, die ihm persönlich nutzen!«
»Psst!« Micki machte eine beruhigende Geste. »Wenn du so schreist, hört er dich in Afghanistan auch ohne Telefon!«
»Aber wo ich Sie gerade in der Leitung habe, Frau Schnehage …« Der Oberstleutnant wurde wieder sachlich. »Die Lage in Kunduz verschlechtert sich von Tag zu Tag. Die Zeiten, in denen die Soldaten mit Ihren Jungs Fußball spielen konnten, sind vorbei. Wir fahren nur noch in gepanzerten Fahrzeugen durch die Stadt. Wir haben gesehen, dass Sie beantragt haben, so bald wie möglich wieder einzufliegen. Die Bundeswehr nimmt Sie allerdings nicht mehr mit. Es ist zu gefährlich.«
»Ist es zu gefährlich, oder bin ich euch zu unbequem?«
»Beides«, sagte er knapp und legte auf.
Ich war verzweifelt. Was sollte ich tun? Von Deutschland aus zusehen, wie Dadgul sich an unseren Spendengeldern bediente? Mein Lebenswerk ruinierte? Ich wurde schier wahnsinnig. Alles hatte jahrelang so gut funktioniert!
Telefonisch bat ich Tadj, sich um den Bau der restlichen Badezimmer zu kümmern, sich die Rechnungen von den Arbeitern per Fingerabdruck quittieren zu lassen und mir zu mailen. Er fotografierte die erfolgreich geleistete Arbeit, und ich hatte endlich wieder »Beweise« für meine Spender in Deutschland.
Dennoch schämte ich mich schrecklich, meinen Vereinsmitgliedern den Supergau mit Dadgul schildern zu müssen. Alle kannten doch Dadgul persönlich, und ich hatte wie eine Löwenmutter für ihn gekämpft! Nun musste ich eingestehen, dass ich eine wahre Drachenbrut herangezüchtet hatte. Die Brechenmachers hatten recht gehabt, als sie ihn als »Monster« beschimpft hatten! Doch ich musste Farbe bekennen. Es war wie der Gang zum Schafott.
»Dadgul hat angefangen, mich zu betrügen. Er hat Spenden veruntreut, sich massiv bereichert – ein Teufelskreis, den nur
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