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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Selbstmord.« Er sah mich streng an. »Für uns beide, Mama!«
    Dadgul mietete einen Wagen mit Fahrer.
    »Warum hat der eine Ölkanne in der Hand?«
    »Weil alle Tankstellen zerschossen sind. Los, Mama, einsteigen, wir sind nicht zum Vergnügen hier!«
    An der Straße nach Djalalabad standen Männer mit Kanistern. Lebende Tankstellen. Wir kauften Diesel, ich zückte diskret meinen fünfzigtausend-Dollar-Gürtel und zählte ein paar Scheine hin. Aber es sollte noch viel abenteuerlicher werden.
    Die Straßen waren von Minen, Raketen und Panzerketten zerstört worden. Der Asphalt war aufgerissen oder, besser gesagt, nur noch ab und zu erkennbar. Nach einigen Kilometern ging es steil bergab.
    »Wir fahren jetzt ins Mai Par«, erklärte mir Dadgul von hinten. »Ins Tal der fliegenden Fische!«
    Ich hielt die Luft an. Einerseits weil die Serpentinen lebensgefährlich eng und steil waren, andererseits weil die Landschaft einfach atemberaubend war. Mein Herz hüpfte vor Glück: Ich durfte zwar diesmal nicht nach Katachel, aber ich bekam einen Vorgeschmack auf die wilde Schönheit dieses einzigartigen Landes: Afghanistan!
    Felswände so hoch wie Wolkenkratzer ragten in hellem Granit rechts und links von uns empor, rot angestrahlt von der Morgensonne. Geröll lag auf der Piste, so groß wie ein liegen gebliebener Pkw, und wir umrundeten es halsbrecherisch.
    »Kleine Erdbeben«, erklärte Dadgul. »Nicht weiter beunruhigend.«
    »Dadgul, kann ich ein Foto machen?« Schon kramte ich in meinem Rucksack.
    »Mama, Fotomachen ist streng verboten, das habe ich dir doch gestern schon erklärt!«
    »Ja, ich weiß. Weil im Koran steht, du sollst dir kein Bildnis machen, glauben die Taliban, dass …«
    »Also. Akzeptier das. Mach einfach keines.«
    »Aber hier gibt es gerade keine Taliban! Ich will ein Bild machen!«
    »Mama, du bist so was von stur!« Dadgul befahl dem Fahrer anzuhalten, und wir machten schnell ein Bild.
    »Was machst du denn da, Mama? Du sollst doch lächeln!«
    »Ich muss kotzen!«
    »Na toll. Wenn mal bloß nicht die Taliban kommen!« Dadgul fühlte sich recht ungemütlich. »Los, einsteigen! Weg hier!«
    Ja, die Straßen waren nicht sehr beifahrerfreundlich hier, und der Fahrer fuhr auch nicht gerade wie mit rohen Eiern.
    »Mir ist wahnsinnig schlecht!!«
    Dadgul schüttelte nur den Kopf und besprach irgendwas mit dem Fahrer.
    Der hatte nur noch zwei bräunliche Zahnstummel im Mund und schenkte mir ein verknittertes Lächeln. Obwohl ich ihn nicht verstand, stand ihm der Spott ins faltige Gesicht geschrieben.
    »Mir ist so schlecht! Der Typ riecht so streng. Und das Auto auch! Irgendwie – verbrannt!
    Der Motor knatterte, plötzlich blieb der Wagen stehen.
    »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    »Der Motor kocht.«
    Na toll! Also wieder aussteigen. Ich kniff die Augen zusammen. Wir standen mitten in einer traumhaften Landschaft. Der Sarobisee, die Verbreiterung des Kabulflusses, strahlte in einem unvorstellbaren Türkisblau, dahinter verlor sich ein steineres Tal im Nichts. Im Hintergrund erstreckten sich schneebedeckte Berge unter einem dermaßen knallblauen Himmel, dass ich trotz Sonnenbrille die Augen zusammenkneifen musste.
    Wie konnte ein von Menschen dermaßen zerstörtes Land nur so wunderschön sein?
    »Was tut ihr da?« Ich wirbelte herum, da Dadgul und der Fahrer hinter mir zum Fluss hinunterkletterten. Jeder hatte einen Kanister in der Hand.
    »Wir holen Wasser, um den Motor zu kühlen.«
    »Das lasst ihr mal schön sein, ihr Knallköppe!« In mir meldete sich die diplomierte Physikerin zu Wort. »Der Motorblock wird reißen.«
    »Mama: Klappe. Davon verstehst du nichts.« Dadgul hatte die Faxen dicke. Vor dem Fahrer ließ er sich von einer blonden Mutti keine Vorschriften machen. In Deutschland hatte ich das Sagen, hier hatte es Dadgul Delawar, genannt »der Kommandante.« Die Frau schweige auf der Straße, ziehe das Kopftuch tiefer und senke den Blick.
    Okay. Während ich da oben am Straßenrand hockte, saß mir die Angst tief in den Knochen. Überall konnten bis an die Zähne bewaffnete Taliban lauern. Überfälle und Entführungen von Ausländern, erst recht von Frauen, ja ERST RECHT von ausländischen Frauen, die einen Gürtel mit fünfzigtausend Dollar um den Bauch hatten, hatten Hochkonjunktur!
    »Mensch, Dadgul, macht hinne!«
    Das kalte Wasser wurde eingefüllt, und wir kletterten hastig ins Auto. Mein Magen zog sich erneut zusammen, als es laut knatternd lostuckerte und rülpste (sowohl das

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