Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
zu zerfetzen.
Es sind wohl zwanzig oder dreißig. Sie spritzen fächerförmig auseinander; schon jetzt ist das Muster zu erkennen, nach dem der Sturz der Kernladungen in die glühende Plasmahölle berechnet wurde – ein sternförmiges Gebilde, das sich immer weiter auseinanderzieht.
“Das ist wohl einer der wenigen Gründe, warum man uns noch eine Gnadenfrist zubilligt”, sagt Skamander unüberhörbar bitter. “Die Messungen werden von Stationen aus vorgenommen, die um die Erde kreisen, soweit sind die da schon, aber zum Abwurf muß man ran an die Sonne, noch… Natürlich messen wir auch, aber das geschieht nur zur Kontrolle, gewissermaßen.”
“Warum braucht man einen Drachenkreuzer, um die Bomben abzuwerfen?” fragt Hendrikje, und gleichzeitig wird ihr bewußt, daß die Frage wenig taktvoll ist.
“Wegen der Signalgeschwindigkeit”, antwortet Skamander. “Wenn zum Beispiel eine Ladung genau in der Grenzschicht zwischen zwei Konvektionszellen geschossen werden soll, muß man so dicht dran sein, daß man auch wirklich die Grenzschicht trifft, denn Minuten später könnte an dieser Stelle schon ein Sonnenfleck entstanden sein. Wenn man also auf der Erde von dem Sonnenfleck noch gar nichts ahnt, sehen wir ihn bereits.”
“Aber das könnten doch auch Automaten.” Sofort beißt sie sich wieder auf die Unterlippe. Auch dieser unangebrachte Einwurf ist ihr ganz spontan herausgerutscht.
Skamander murmelt leise: “Wir müssen eben beweisen, daß wir es besser können…”
“Warum wollen Sie das beweisen?” Diesmal war es Absicht. Skamander dreht sich unwillig zu ihr um, der Sitz, den er provisorisch für Hendrikje eingebaut hat, befindet sich zwischen dem Spill und seinem Konturensessel. Deshalb hat er sie auch kurz in die Handhabung des Hebelchens eingewiesen, und Hendrikje war regelrecht begeistert von dem Gedanken, nicht schlechthin Passagier zu sein, sondern etwas Sinnvolles zu tun auf diesem Ausflug mit dem Wantentrailer. An sich war es läppisch: einmal nach rechts, das Omegasegel ausklinken, dann nach links, die Trosse einholen. Aber in diesem kurzen Augenblick hatte sie das Gefühl, etwas unerhört Wichtiges getan zu haben, und Skamanders Vertrauen tat ihr wohl. Nun aber sieht er sie beinahe böse an, und dieser Blick ist weniger angenehm. “Warum wohl!” stößt er hervor. “Begreifen Sie das wirklich nicht?”
Doch, sie ahnt es langsam. Es ist etwas, was ihr bisher fremd war, weil es in ihrem Leben so etwas nicht gegeben hat. Aber sie will es nun genau wissen. “Nein, verzeihen Sie, Skamander – ich begreife es wirklich nicht. Es gibt noch so viele interessante Aufgaben für Männer wie Sie…”
“Ich scheiß was auf diese Aufgaben!” brüllt Skamander los, und Hendrikje prallt entsetzt zurück, mit solch einem Ausbruch hat sie bei diesem ansonsten ruhigen und besonnenen Mann nicht gerechnet. “Ich scheiß was drauf! Es ist doch nicht nur die Aufgabe! Da ist das Gefühl viel wichtiger, die Aufgabe gemeinsam zu lösen, mit Leuten, unter denen man sich nicht allein fühlt… Mag sein, daß es mehr Leute gibt, denen es wichtig ist, große Dinge zu tun”, räumt er leiser ein, “ist ja auch nicht zu verachten, etwas zu tun, das Bestand hat, womit man sich gewissermaßen im Gedächtnis der Menschen verewigt. Aber mir ist das eigentlich gleichgültig, was das Gedächtnis der Menschheit von mir hält. Hier, wo ich arbeite, wo ich lebe – das ist die Instanz, die mich beurteilt, mich mißt. Da ist Flakke – so einen Chef finde ich nie wieder, davon gibt's leider viel zuwenig…”
“Sie verehren Ireas Flakke sehr, ja? Wissen Sie so genau über ihn Bescheid?” wirft Hendrikje spitz ein.
“Ich kenne ihn”, antwortet Skamander selbstsicher. “Das gibt mir das Recht, ihn zu verehren. Ja, ich kenne ihn – wer kann so etwas schon von sich behaupten: einen Menschen zu kennen? Ich kenne auch alle anderen, allerdings gibt es da immer wieder Neues zu entdecken. Den Skagit zum Beispiel kenne ich eigentlich erst seit ein paar Tagen…”
“Na also, nun widersprechen Sie sich, Skamander!”
“Quatsch!” fährt er auf. “Das ist kein Widerspruch. Das ist einfach so, daß man Jahre braucht, um einen Menschen wie Skagit kennenzulernen. Da muß erst Vertrauen wachsen, und manchmal ist es dann wie eine Explosion. Nicht alle Menschen sind durchsichtig wie Glas, nicht alle tragen ihr Herz auf der Zunge. Man muß alles neu lernen, wenn man Menschen verstehen will. Sehen, hören und auch
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