Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
alles in Schweigen erstarren zu lassen. Nur ein Hirn widersteht seinem Befehl, und Marigg erfaßt eine heiße Woge, als ihm bewußt wird: Es ist das eines Ungeborenen, das sich ihm nicht fügen will.
Ohne daß er jemals die Macht des Elixiers erprobt hätte, weiß er sofort: Ein scharfer Befehl würde genügen. Aber er weiß ebenso, daß diese Schärfe tödlich wäre. Er schickt einen mächtigen Strom von Wärme in dieses noch keimende Denken und gerät dadurch kurzzeitig in ein Gedankenfeld, das ihm so vertraut ist, daß er sich augenblicklich beschämt zurückzieht. Vielleicht war es zuviel Wärme, die er aussandte, und vielleicht wird sich die Frau wundern, woher diese Welle von Liebe in ihren einsamen Schlaf dringt.
Fassungslosigkeit befällt Marigg angesichts der Fülle von Gedanken, die sich seinem Willen unaufgefordert unterwerfen. Da dröhnt die Stimme Duals in sein Bewußtsein.
Beherrsche die Kraft, Marigg Ellis!
Aber die Stimme ertrinkt im Gewirr der willigen Gedanken, Marigg begreift auf einmal, daß er sie alle zwingen könnte, seinem Willen zu gehorchen. Die Erkenntnis durchströmt ihn heiß und unwiderstehlich. Alles Schlechte kann er ausmerzen mit einer einzigen Willensanstrengung.
Beherrsche die Kraft! schrillt die greise Stimme in seine Gedanken.
Doch Marigg läßt sich davontragen von der Woge, die ihn gepackt hat. Wie in einem Brennglas sammelt er alle Bewußtseinsregungen in sich, die er erreichen kann. Wie ein gleißendes Licht leuchtet es in ihm auf, hebt ihn empor, treibt ihn auseinander.
Beherrsche die Kraft! Es ist ein in Todesröcheln erstickendes Kreischen, das da in seine sich blähenden Gedanken dringt.
Gerade will Marigg seine Botschaft verkünden, den Willen zur Liebe und zum Verständnis füreinander in die Herzen der Menschen senken – da dringt der Todesschrei des alten Mannes in sein Denken. Und sofort begreift Marigg, daß es nicht eine Stimme aus seiner Erinnerung ist, die ihn mahnt, sondern die des wirklichen Dual!
Beherrsche… die… Kraft…, Marigg, du letzter Meister der Sterbenden Sonne…, beherrsche sie…
Marigg schreit entsetzt auf. Eisige Kälte frißt sich in sein Gehirn, dringt in seinen Leib, versteinert ihn, löscht ihn aus. Bleib, Dual! Sein Schrei läßt das Universum erzittern. Bleib, bleib, bleib!
Ganz klar hört er die Stimme des alten Meisters. Wozu soll ein winziges Teil bleiben, wenn tausend neue Platz brauchen, Marigg Ellis? Weshalb soll Erfüllung durch Unbescheidenheit geschändet werden? Gib du mir den letzten Frieden, nach dem mich dürstet…
Bleib, Dual, bleib! heult Marigg. Ich brauche dich, brauche die Gewißheit, daß du noch da bist, helfen, raten kannst.
Ein entsetzliches Stöhnen ist die Antwort, ein Stöhnen, das Planeten beben und Sonnen explodieren läßt. Nimm das Wort der Meister, Marigg Ellis, stöhnt Dual verzweifelt, nimm es: Alles sei in dir, sei in allem… Nun laß mich gehen, gib mir meinen Frieden, gib ihn mir!
Die Kraft kehrt nun in Marigg zurück. Er sieht Welten entstehen und vergehen, Menschen wachsen und sterben, Blumen erblühen und welken, und er sieht auf unbegreifliche Weise auch das eherne Gesetz, das über alldem steht.
Geh, Dual, und kehre wieder! spricht er die Formel der Meister.
Ich bin wiedergekehrt, Marigg Ellis, hört er die ersterbende Stimme des greisen Dual, und die Freude, mit der der Meister der Sterbenden Sonne die Augen für immer schließt, ist auch seine Freude, weil der Tod des einen einem neuen Menschen das Leben gibt, dessen Name Marigg Dual Ellis ist…
Auf einmal ist alles ganz anders.
Immer noch steht der Lander startklar im Trailerdeck, aber nun ist es nicht mehr der Elloraner Marigg Ellis, der zur Station Nabuthot hinunterfliegen will, nun ist es der letzte Meister der Sterbenden Sonne Marigg Dual Ellis. Kraft, Wille und Erkenntnis – das Gesetz der Meister bestimmt fortan sein Handeln. Das Wort der Meister: Alles sei in dir, sei in allem.
Aber da ist noch der Ruf eines Wesens, das er nicht kennt, von dem er nicht einmal weiß, wie es beschaffen ist, von dem er nur sagen kann, daß es existiert und daß es nach ihm verlangt. Alles sei in dir, sei in allem.
Auf einmal ist ihm das Wort der Meister nicht mehr Geheimnis, sondern unmißverständliche Aufforderung. Marigg Dual Ellis, gib dem, der nach dir verlangt. Sammle deine Kraft und gib sie dort, wo sie gebraucht wird. Meister sein ist Geben. Geh und kehre wieder…
Marigg läßt einen zweiten Tropfen der rubinrot leuchtenden
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