Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Zerstören in einem ist, nicht etwa die Dinge gebiert, sondern alles ist – diese Kraft muß Elloranern fremd sein. Sie gibt es nur zwischen Mann und Frau.
Und diese Kraft schlägt auch Marigg in ihren Bann. Zwar hat er nicht teil an deren Strömen, doch allein ihre aus Gegensätzlichkeit stetig sich erneuernde und verstärkende Macht, die wohl nur er schauen kann, weil er außerhalb ihres Wirkungskreises steht, begeistert ihn auf ungewohnte Weise. Diese Kraft könnte er zwingen, aber nicht wirklich bezwingen. Sie muß es wohl sein, die Dual meinte, sie muß es sein, aus der letztlich alle Bewegung kommt.
Erneut wird Marigg schmerzlich bewußt, wie fremd er dieser Welt sein muß. Und wiederum spürt er die unstillbare, aus anfänglichem Ekel und Abscheu auf unbegreifliche Weise gewachsene Sehnsucht, teilhaben zu dürfen an dieser wilden, unvernünftigen, barbarischen Lebensweise, die erst durch ihre Widersprüchlichkeit wirkliche Aufregung, lebendige Wirklichkeit verspricht.
Der Merkur ist fast erreicht. Marigg hat alles vorbereitet, ist fest entschlossen, das erstemal in seinem Leben so bedenkenlos und kühn zu handeln, wie es den Terranern eigen ist.
Es hätte keinen Zweck, Flakke um die Erlaubnis zu bitten. Er würde es verbieten, nicht erkennen, daß nur Marigg Ellis imstande ist, das Rätsel zu lösen. Flakke würde seiner Verantwortung gemäß handeln und außer acht lassen, daß die Verantwortlichkeit für andere ihre Grenzen genau dort hat, wo nur ein einzelner zu entscheiden hat, ob das Gesetz ihn hemmt oder befreit.
Marigg wird gegen die Vorschriften verstoßen, klaren Kopfes, im vollen Bewußtsein. Deshalb braucht er das Elixier der Sterbenden Sonne. Sein Verstand muß klar bleiben.
Er schabt das Krötenwachs vom Hals des Flakons und kippt das Fläschchen leicht an. Die Flüssigkeit perlt und brodelt, ein feiner rosiger Nebel stiebt aus der Öffnung.
Noch zögert Marigg. Nichts im Universum kann einen Tropfen des Elixiers aufwiegen. Es läßt sich nicht synthetisieren – es sei denn, man erschüfe ein ganzes Sonnensystem mit ebenjenen Bedingungen, wie sie auf dem Fünften der Sonne Xarob herrschten, mit all den Temperatur-und Strahlungsgradienten, der wechselnden Dichte der Atmosphäre und den durch sieben Monde hervorgerufenen Gezeiten, der oszillierenden Magnetosphäre und den gewaltigen elektrischen Strömen, die den Planeten durchpulsten, mit all den unüberschaubaren biologischen Rhythmen und Mechanismen, die eine Pflanze und ein insektenartiges Wesen zusammenführten, damit sie sich optimal vermehren konnten. Das sinnlose Abfallprodukt dieser Symbiose erhielt schließlich doch seinen Sinn, wie alles in diesem scheinbar zufälligen Wirken der Natur einen zumindest winzigen Sinn hat, wie jedes Sandkorn durch seine Existenz kleinste Wirkung übt, die große Resultate zeitigen kann.
Marigg zögert. Es ist einmalig auf der Welt, dieses Elixier. Aber ist nicht alles einmalig, dessen Gesetzmäßigkeit sich dem Verstand verschließt, und garantiert die Kenntnis des Gesetzes denn auch in jedem Fall die Wiederholbarkeit?
Ich müßte Dual fragen! zuckt es in seinen Gedanken auf. Aber Dual wird nicht antworten, muß er sich eingestehen. Dual hat bereits alle Antworten gegeben.
Lohnt der Anlaß wirklich den Aufwand? Marigg ist so sehr im Zweifel, daß er zürn äußersten Mittel greift. Er lehnt sich zurück und schließt die Augen. Dann faßt er sich ins Genick und läßt die Wärme strömen. Die Kraft in seinem Innern ist gewaltig, Ruhe durchdringt ihn besänftigend. Tu es, klingt es in ihm, tu es, wenn es dich drängt. Die Kraft ist gut für Menschen. Aber es sind doch keine Menschen! schreit es in ihm. Ich weiß doch gar nicht, was es ist dort unten auf dem Merkur. Nimm dir den Schutz der Kraft und geh, wenn Kraft, Wille und Erkenntnis es fordern! entgegnet die Stimme, die beinahe so klingt, als gehörte sie zu einer grauen Kontur, die sich kaum abhebt vom verwitterten Gestein der Berge des Taurusgebirges…
Behutsam läßt Marigg einen Tropfen des Elixiers in seine Handfläche fallen. Die kleine rote Perle schrumpft zusehends, man könnte meinen, die Flüssigkeit verdunstet. Aber die Hitze in der Hand belehrt Marigg eines Besseren, sie steigt den Arm empor, berührt das Herz wie ein Windhauch, quillt dann mächtig empor und füllt den ganzen Kopf.
In diesem Augenblick hört Marigg tausend Stimmen, sieht tausend Gesichter, fühlt tausend Ängste und tausend Freuden.
Einzig sein Wille genügt,
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