Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
ich mich weiter in die Verteidigung zurückziehen. Hendrikje überlegt blitzschnell. Das Große Gehirn zu überlisten ist leicht, weil es über Gut und Böse steht, man muß nur wissen, wie man es zu packen hat. Sie lächelt wieder. “Offizielle Begründung”, präzisiert sie ihren Befehl, und fast scheint es, als atme das Große Gehirn erleichtert auf.
“Tödlicher Unfall. Genetische Fehldisposition nicht ausgeschlossen. Untersuchung dauert an. Informationssperre.”
Jetzt oder nie, denkt Hendrikje und spricht ganz unbeteiligt: “Gibt es registrierte Zeugen für den Unfall? Das könnte uns das Gespräch mit Styx erleichtern, angesichts der Informationssperre. Ist die Sperre vorläufig?”
“Warum gerade Stotzner?” fragt das Große Gehirn zurück. Hendrikje überläuft es siedendheiß. Heute benehme ich mich wie ein Nestling, der das erstemal vor einem Terminal sitzt, denkt sie. Auf gut Glück antwortet sie: “Die Parameter korrelieren – oder habe ich mich geirrt?”
“Du irrst nicht. Andere Parameter korrelieren auch.”
“Ich kenne Styx, und ich kenne…, kannte Stotzner.” Hendrikjes Rücken wird feucht vom herablaufenden Schweiß.
“Ist der subjektive Faktor immanent?”
Gewonnen! jubelt es in Hendrikje. “Sehr immanent”, antwortet sie.
“Frage eins: Hendrikje Greiff. Frage zwei: Vorläufig.”
Hendrikje schweigt konsterniert. Sie wurde als Unfallzeuge registriert, von wem. Etwa von ihm? Aber er sagte doch selbst, er habe keinen Psiegellokator bei sich!
“Greiff fällt aus. Das bin ich. Neutralitätsnachweis negativ. Das siehst du doch ein?”
Jetzt muß es das GG sagen. Die beiden offiziellen Möpse darf es nicht nennen, sie gelten nicht als neutral. Aber er – wie heißt er? Er muß registriert sein, sie ist im MOBS-Speicher drin, aber dort wird er natürlich als gewöhnlicher Bürger geführt…“Als Unfallzeuge wird zur internen kaderpolitischen Aussprache Hermel Goff empfohlen. Erreichbar im Parkurbanidum, Ebene dreiundvierzig, Siebertzyklinale achthundertvier Zeta.”
“Omega.” Hendrikje spricht die Schlußformel ganz automatisch. Nach der Psiegelnummer dieses Hermel Goff zu fragen ist sinnlos, das sagt ihr die Erfahrung. Wenn das Große Gehirn die Adresse angibt, ist der Psiegelkode tabu. Na ja, irgendwie müssen sie ihre Spürnase ja schützen, denkt sie, aber ohne die Bosheit, um die sie sich ergebnislos bemüht.
Hermel Goff, ein Januskopf, kombiniert aus Adonis und Judas, denkt sie weiter. Weshalb regt dieser Mann mich nur so auf?
“Kaderorganisator Greiff bitte zum Generalorganisator”, piepst es aus dem Lautsprecher ihrer Sprechanlage. In Hendrikjes Kopf beginnt es zu summen. Plötzlich wird es ihr wieder bewußt: Fünf Jahre Arbeitsentzug, irgend etwas machen müssen, was man sich zwar aussuchen darf, aber nicht mehr das, was man gelernt hat, was man liebt, braucht! Obwohl keiner der hundert Kollegen auf sie achtet, als sie durch den Terminalsaal mehr taumelt als geht, empfindet sie diesen Gang so, als wäre es der letzte, als blickten hundert Augenpaare mißbilligend oder auch mitleidig auf sie, als flüsterte und raunte es um sie herum: Sie hat das Vertrauen gebrochen…, das Vertrauen…
Generalorganisator Aberschwenz winkt ihr nur ungeduldig, sich zu setzen. Wie immer ergreift auch diesmal eine diffuse Scheu Besitz von ihr, als sie den etwas rundlichen Mann mit den herabgezogenen Mundwinkeln inmitten all der Terminals, Sprechanlagen und Monitore erblickt. Und selbst der handgeschriebene Zettel, der über dem großen Kommunikator klebt, kann ihr diese Scheu kaum nehmen, obwohl jeder schwört, die Worte seien reine Selbstironie: Der Chef irrt nie / doch widersetzt die Wirklichkeit / sich hier und da / selbst dem Genie.
Aberschwenz ist wieder unmöglich geschminkt, dunkelgrüner Nasenrückenschatten macht sein Gesicht noch teigiger, denkt sie in einem Anflug gewagter Respektlosigkeit, und wie er seine paar Haare zu kleinen Zwiebeltürmen frisiert, als sei er noch ein junger Bursche, das ist geradezu grotesk. Doch als sie das Gesicht auf dem großen Kommunikator erblickt, geht ihr ein strahlendes Licht auf. Der Mann, mit dem der Generalorganisator spricht, oder besser: dem Aberschwenz andächtig lauscht, hat seinen violettgetönten Haarschopf zu ebenjenen Zwiebeltürmen gedreht und gelockt, und sogar die putzigen Fransen an den Schläfen gleichen verblüffend jenen, die sich über den pulsierenden Adern unter Aberschwenzens Kopfhaut ringeln.
Es ist der
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