Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Hochkommissar Wohlmetz, in dessen etwas fleischigen Händen das Wohl und Wehe aller Kader der Raumfahrtbehörde liegt…
“Das wird noch problematisch, Bürger Aberschwenz. Eigentlich fliegt die Ikaros da schon seit Monaten völlig nutzlos herum. Aber wie sollen wir das den Leuten klarmachen?” Über den wasserblauen Augen des Hochkommissars zieht sich die Haut zusammen und sieht auf einmal eingetrockneter Milchsuppe sehr ähnlich. “Wir können die Perfektionierung der Fernerkundung doch nicht ignorieren, damit an die dreißig Bürger, die nichts weiter können, als im Sonnenwind zu segeln, ihre Arbeitsplätze behalten…”
“Gestatten Sie, Hochkommissar!” mischt sich Hendrikje ein und erntet dafür ein böses Zischen von Aberschwenz. “Was Sie ›nichts weiter können‹ nennen, das ist eine hochqualifizierte und entbehrungsreiche Arbeit, und…”
“Ach was, so war es doch nicht gemeint”, fällt ihr Wohlmetz ungehalten ins Wort. “Die Sonnensegler gelten als die Elite der Raumfahrergemeinschaft, das ist mir bekannt; obwohl da irgendeine romantische Spinnerei eine Rolle spielt – sollen die Leute spinnen, meinetwegen. Doch die Ikaros ist der letzte Drachenkreuzer, der noch für das Zentrum fliegt, die anderen sind abgewrackt oder zu Abenteuerschiffen umgerüstet worden, das wissen Sie doch besser als ich. Und die Leute von Kosmander Flakke haben nur diesen einen Beruf, sie können zweifellos sehr viel, aber eben nur dieses eine! Was sollen wir mit ihnen machen, wenn auch der Ikaros die Stunde schlägt? Sie glauben doch nicht, daß Flakke Urlauber durch die Gegend schippern will, oder? Sie kennen ihn ja, wie man sich erzählt.”
Als der Hochkommissar diesen Namen nennt, schlägt Hendrikje die Augen nieder. Nicht aus Scham oder Unsicherheit, sondern weil sie das dämliche Grinsen des Generalorganisators nicht ertragen kann. O ja, sie kennt Ireas Flakke…
“Also, was soll's. Lassen Sie sich was einfallen, Generalorganisator. Aber beim Großen Sirius, nichts überstürzen, wir haben Zeit, auf ein paar Monate oder gar Jahre kommt es nun auch nicht mehr an, wenngleich… die ökonomischen Kennziffern…”
Bei diesen letzten Worten des Vorgesetzten reckt Aberschwenz das fleischige Kinn vor, und Hendrikje kommt augenblicklich einer der Grundsätze jedes Bürgers in den Sinn: “Die Kennziffern erfüllen ist Pflicht, sie übererfüllen ist Ehre.” Sie atmet auf, denn nun ahnt sie, weshalb der General sie zu sich befohlen hat. Solche Aufgaben überträgt man am besten Hendrikje Greiff, hat er sie einmal vor allen Kollegen gelobt, Aufgaben, die einen klaren Verstand, kühles Kalkulieren und hohes organisatorisches Vermögen erfordern und uns dadurch Ansporn sind, sie erst recht überzuerfüllen… Sie hat ihn nicht enttäuscht.
“Geht klar, Hochkommissar.” Die Augen des Generals leuchten. Ehrfürchtig wartet er, bis das Bild des Vorgesetzten verblaßt ist, was immerhin zwei, drei Sekunden dauert, dann gibt er mit hoher, klarer Stimme seine Anweisungen. “Sie haben es gehört, Kaderorganisator Greiff! Lassen wir uns etwas einfallen. In zwei Wochen möchte ich ein hieb- und stichfestes Umleitungskonzept auf dem Tisch haben! Ich weiß, Sie werden diese Kennziffer übererfüllen… Übrigens haben wir im Durchschnitt eine Rate von zehn Prozent geplant!”
Hendrikje bekommt einen Schreck: Zehn Prozent, das sind ja anderthalb Tage! Es ist auch in zwei Wochen nicht zu schaffen! In zwölfeinhalb Tagen schon gar nicht!
“General…”, beginnt sie zögernd, und sie benutzt ganz bewußt den verkürzten Titel, weil ihr bekannt ist, daß Aberschwenz dies gern hat. “General, der Hochkommissar sprach von Monaten oder gar Jahren.”
“Gewäsch!” antwortet Aberschwenz kurz angebunden. “Wohlmetz weiß genau, daß wir selbst entscheiden und unsere Entscheidungen auch verantworten. Die Ikarosleute sollen ihre Takelage einmotten und sich überlegen, was ihnen sonst noch auf dieser Welt gefällt. Mal was von Disponibilität gehört?”
Hendrikje nickt. Das lernt man doch schon im Nesturbanidum. Disponibilität ist eins der hervorstechenden Merkmale der Evolvierenden Persönlichkeit.
“Na also, die Herren Helden und Idole sollen sich den Staub der Jahrhunderte von den Schultern klopfen und sich als integrierte Elemente unserer Gemeinschaft verstehen, gemäß der morgigen Tageslosung: ›Nicht rückwärts schauen – vorwärts gehen‹!” Aberschwenz spricht in jenem deklamierenden Tonfall, in der er alle
Weitere Kostenlose Bücher