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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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explodiert und spritzt es in Kaskaden auseinander – aber tief im Innern, das jedem menschlichen Auge auf ewig verborgen bleibt, brennt ruhig und gleichmäßig ein Feuer, von dem niemand sagen kann, welche Farbe es eigentlich hat.
    Aber für die unheimlichen Halluzinationen, die Schnuckchen bei jeder Merkurpassage heimsuchen, gibt es keine einleuchtende Erklärung. Quadrangel wird es schon herausfinden, beinahe hatte Bruno den Eindruck, der Arzt hätte sich über das Auftreten dieser seltsamen Bewußtseinsstörungen ehrlich gefreut, wie über ein unverhofftes Geschenk etwa.
    Nein, bei ihm – Bruno – ist es etwas ganz anderes. Er haßt die Sonne nicht wie Skamander. Er verehrt und fürchtet sie, sie ist für ihn wie eine unsagbar schöne Geliebte, der man sich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert hat. Nein, es ist die Liebe, die ihn zu ihr hinabzieht, diese schmerzende und doch berauschende Liebe, denn die Sonne ist sein Leben…
    Auf einmal ist sich Bruno ganz sicher, daß sie ihm nichts antun wird – noch nicht, und als die nächste Stoßwelle den Wantentrailer herumwirbelt wie in einem ekstatischen Tanz, lacht er dröhnend und packt den Steuerbügel fester.
    Dann endlich hat er sich Styx genug genähert. Die acht Gliederbeine des Schleppers schnappen nach den flatternden Trossen und beißen sich in ihnen fest. Meter für Meter zieht sich Bruno an Styx' Schlepper heran, dann öffnet er blitzschnell die Greifarme und packt nach den Gelenken der Manipulatoren des anderen Wantentrailers.
    In das Innere der anderen Kanzel kann er nicht sehen, von außen wirkt das beschichtete Filtermaterial wie eine spiegelnde, goldglänzende Halbkugel. Aber Styx' Schweigen verrät genug. Bruno verdrängt gewaltsam die Vorstellung von einem blutverschmierten Gesicht und einer klaffenden Schädelwunde inmitten der feuerroten Locken. Aber immer wieder steigt das Bild von Styx' Katzengesicht vor ihm auf, mit gespenstisch verdrehten Augen, von denen nur noch das rötlich geäderte Weiß zu sehen ist. Die beiden Wantentrailer steigen schon wieder, da peitscht direkt neben ihnen der Schatten einer gewaltigen Spicule auf, ein Ausbruch relativ kalter Gasmassen, die von der Erde aus, durch ein Teleskop betrachtet, wie Nadelspitzen erscheinen. Diese hier haben aber einen Durchmesser, der beinahe den des Mondes erreicht, und diese “Nadelspitze” wächst mit über fünfzig Kilometern in der Sekunde in die Korona hinauf.
    Bruno nähert sich vorsichtig der Zone, wo die Wände zweier Zirkulationsgebiete aneinandergrenzen, um den Auftrieb der Turbulenzen zu nutzen. Doch er zögert, als die ersten Stöße die beiden Schlepper schlingern lassen; hier ist auch die Zone der höchsten magnetischen Feldstärken, in den stark konzentrierten Flußröhren, die wie Arkaden die Konvektionszelle überspannen, werden bis zu null Komma zwei Tesla gemessen!
    Als sein Herz vor über fünfundzwanzig Jahren gegen den synthetischen Muskel ausgetauscht wurde, weil eine genetische Korrektur der Mißbildungen nicht möglich war, hat natürlich niemand voraussehen können, daß Bruno einmal Magnetfeldern ausgesetzt sein wird, gegen deren Stärke man die des irdischen Magnetfelds nahezu vernachlässigen kann.
    Mit zusammengebissenen Zähnen stürzt sich Bruno in die solare Thermik. Halt durch! beschwört er die kleine Motorpumpe in seiner Brust und lauscht ängstlich auf das Klicken der Ventile. Unter dem Ticken der Taschenuhr vernimmt er ein feines Klack-klack, etwas unrhythmisch zwar, aber immer noch regelmäßig. Für Augenblicke ist Bruno beruhigt, er stößt in spitzem Winkel in die aufschießende Gasströmung der Spicule hinein und gleicht das Rütteln und Stoßen mit schnellen Bewegungen des Steuerbügels aus. Es reißt sie wie mit einer Riesenfaust nach oben – und plötzlich liegt die solare Unwetterregion weit unter den fest aneinandergeklammerten Wantentrailern.
    Der Flare-Ausbruch ist offenbar schon im Abebben begriffen, nur die Loops der Bogenprotuberanzen über ihnen leuchten noch hell. Geschafft! jubelt Bruno. Ich habe es geschafft!
    Jetzt erst wird ihm das nervtötende Pfeifen bewußt, das die Kanzel ausfüllt. Die Ortungsgeräte! Als er den Suchstrahl kreisen läßt, zieht sich hinter seiner Stirn etwas schmerzhaft zusammen, und die plötzliche Kälte, die aus seinem Magen aufsteigt, läßt die Zähne klappernd aufeinanderschlagen.
    Das bösartige Pfeifen hält an.
    “Keine Angst, Styx, sie werden uns finden…”, flüstert er mit zitternder Stimme.

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