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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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eigene Leben aufs Spiel zu setzen, womöglich zu opfern für die vage Möglichkeit, eines anderen Leben zu retten, welch haarsträubender, unlogischer, zutiefst animalischer Unsinn! Der Tod allein erfüllt Vegard mit solch unfaßbarem Grauen, daß er an die Qualen des Sterbens gar nicht denken mag. Wenn altkluge Laien vom Schlage eines Skamander vom Selbsterhaltungstrieb als Werkzeug der Evolution schwafeln, kann Vegard Quadrangel nur müde lächeln. Beim Menschen darf man nicht vom Selbsterhaltungstrieb reden, das ist für Quadrangel beinahe ein Sakrileg, ein Frevel gegen die Einmaligkeit jedes Ichs. Als Mediziner weiß er sehr gut, wie stark die natürlichen Triebe Denken und Handeln der Menschen prägen, aber er kann auch sehr präzise die Wandlungen und Wertigkeiten dieser vererbten Mechanismen bezeichnen – und was Bruno von der Hohen Aue getan hat, ist ein Rückfall in animalische Ursprünglichkeit: Nur ein Tier ist dem zweiten wichtigen Trieb – dem zur Erhaltung der Art – so bedingungslos ausgeliefert, daß es sein Selbst nicht mehr spürt, wenn Nachkommen oder Artgenossen in Gefahr sind, nur ein Tier ist Sklave des evolutionären Befehls, die Art zu erhalten.
    Vegard Quadrangel streckt sich und atmet befreit auf. Wie kristallklares Wasser strömen die Gedanken durch die Mäander seines Gehirns. Die Müdigkeit ist wie weggewischt, die schlaffen Muskeln füllen sich körperlich spürbar mit neuer Energie.
    Von der Hohen Aue ist ein Fossil, denkt er abfällig, er hat nicht den Sprung zum bewußten Ich geschafft, hört auf diese Phrasen von Gemeinschaft und Menschheit als höherer Qualität.
    Das wird einem Doktor Vegard Quadrangel nicht widerfahren! hat er sich schon vor über zehn Jahren geschworen und sich seine eigene Welt geschaffen. Hier, auf der Ikaros, ist er eine Macht, nicht irgendein Spezialist, der ausschließlich den Streckmuskel des linken kleinen Zehs beherrscht. Hier ist er Internist, Chirurg, Orthopäde, Urologe, Dentist, Psychologe und Psychiater, HNO-Spezialist, Pathologe und noch viel mehr in Personalunion. Dafür hat er immerhin elf Jahre studiert, davon beinahe acht hypnopädisch, hat also acht Jahre seines Lebens verschenkt, um sich danach auf die Aufholjagd zu begeben. Und da kommt dieser Proximer und maßt sich an, das alles zu zerstören…
    Quadrangel springt elastisch auf und geht in die Intensivstation. Soll er diesem Skamander eigentlich dankbar sein oder ihn besser zur Hölle wünschen? Nein, eigentlich war es doch Flakke, der dem Proximer erlaubte, mit der Landefähre zurückzubleiben, um Styx und von der Hohen Aue zu suchen. Flakke, dieser sentimentale Knilch! Von der Hohen Aue hat eindeutig gegen den Befehl gehandelt, aber da war ja immerhin noch Styx…
    Quadrangel überlegt: War Flakke schuld an dem Unfall? Hat er irgendwelche Bestimmungen verletzt? Da kennt Quadrangel sich nicht aus. Aber denkbar wäre es zumindest und würde das Verhalten des Kosmanders erklären, der immerhin zuließ, daß sich ein Dritter in Gefahr begab. Für Styx' Tod hätte man ihn womöglich zur Rechenschaft gezogen, also dachte er wohl: So oder so, ich bin dran, also kann ich auch einen zweiten und dritten opfern… Quatsch! Quadrangel beißt sich wütend auf die Unterlippe. So einfach ist es ganz gewiß nicht, das widerspräche dem Psychogramm des Kosmanders auf eine Art, die demjenigen, der diese Psychogramme ableitet, kein besonders gutes Zeugnis ausstellen würde, und dieser Jemand heißt immerhin Vegard Quadrangel.
    Obwohl – Quadrangel bleibt unwillkürlich stehen und kaut weiter auf seiner Unterlippe herum –, obwohl, so ganz paßt das alles nicht mit seinen Psychogrammen. Ahnte er es anfangs nur dumpf, verdichtet sich es allmählich zur Gewißheit: Entweder er hat ein grundsätzlich falsches Programm gewählt, die Kriterien ungenügend scharf formuliert, oder die Persönlichkeitsdaten seiner Patienten – und im gewissen Sinne ist jeder Mensch irgendein Patient – sind derart instabil, daß man sie gar nicht funktional definieren kann. Natürlich neigt Vegard eher der zweiten Variante zu, aber wenn der Zweifel erst mal da ist, dann wirkt er wie eine schleichende Krankheit: Des öfteren schon hat Vegard – natürlich nur ganz hypothetisch – seinen Denkansatz in Frage stellen müssen, bis jetzt aber immer wieder eine Erklärung gefunden.
    Sei's drum, sagt er sich, das hier lasse ich mir von niemandem zerstören! Zwar hatte er früher nie geglaubt, irgendwann einmal etwas mit

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