Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
schon immer die Enge ihrer Verhältnisse sprengen müssen, Fortschritt läßt sich eben nicht reglementieren, und wenn man dem freien Flug der Gedanken eine Grenze setzt, endet er unweigerlich mit einem Absturz. Und wer weiß – vielleicht ist es Vegard Quadrangels größte Chance, daß sich ihm nun eine dritte Aufgabe stellt: die völlig unverständliche Merkursüchtigkeit des Proximers Ellis, genannt Schnuckchen. Es wäre geradezu verrückt, diesen rätselhaften Fall aus der Hand zu geben.
Über Brunos Gesicht läuft ein unmerkliches Zittern. Quadrangel wirft einen schnellen Blick auf die Anzeige des Encephalovisors und nickt befriedigt. Der Dekasekundenrhythmus stimmt, allerdings fällt der Patient aus der Hypnose immer wieder kurzzeitig in normale Somnolenz zurück – vielleicht sollte man den suggestiven Befehl reaktivieren.
“Wie haben Sie das nur gemacht, Doktor – er war doch schon eine halbe Stunde tot…” Styx schüttelt respektvoll den Kopf.
Quadrangel hat Mühe, den spontanen Impuls zurückzuhalten und nicht zu antworten: Reden Sie nicht solchen Blödsinn, der Mann war nicht tot, auch wenn es ganz den Anschein hatte. Sein künstliches Herz hat weiterhin geschlagen, aber nur ein- oder zweimal in der Minute, unregelmäßig, aber mächtig, als wüßte es, daß es mit jedem Schlag dem Tod einen Tritt in den Allerwertesten versetzt. Das Herz, dessen sich der Fettwanst so sehr schämt, war es, nicht ich. Aber Vegard reckt statt dessen das Kinn vor und sagt kühl: “Sie hätten mir diese Arbeit ersparen können, Superproximer.”
“Ja, ich weiß, der Sicherheitsgurt”, murmelt Styx niedergeschlagen, “ich weiß – es ist meine Schuld. Ich will auch nichts entschuldigen, Doktor, aber vielleicht können Sie den Herren Erfindern mal klarmachen, daß das Anschnallen Blödsinn ist, wenn man angeschnallt nicht arbeiten kann, und zum Arbeiten gehört nun mal das Spillen, nicht nur das Fliegen…”
Quadrangel sieht den Superproximer mit gemischten Gefühlen an. An sich kann er den Burschen ja verstehen, der da mit ängstlichem Gesichtsausdruck und lächerlich über das linke Ohr geschobener Baseballmütze – die Beule über der rechten Augenbraue paßt wohl nicht mehr unter die Kopfbedeckung – am Bett seines Kameraden sitzt. Was dem die Gurte in seinem Wantentrailer sind, das sind Vegard Quadrangel die Vorschriften und Arbeitsanweisungen. Was hilft die ganze perfekte Sicherheit, wenn man dabei nicht arbeiten kann? Styx hat ja so recht. Und trotzdem hat er sich schuldig gemacht, und nur Flakke kann verhindern, daß er für seine Schuld geradestehen muß.
Flakke wird ihn decken, so wie er auch mit einem gewissen Doktor Quadrangel ein ganz und gar illegales Abkommen getroffen hat. Sie haben schließlich ein Ziel: Die Ikaros muß weiterfliegen. An Vegard Quadrangel soll es nicht liegen…
“Bitte!” Mit einem energischen Wink bedeutet der Arzt Styx, seinen Platz zu räumen.
Der Superproximer springt eilfertig auf und verdrückt sich in die Ecke zwischen Encephalovisor und Kardiostimulator.
Quadrangel zieht aus dem birnenförmigen Ding über Brunos Kopf mehrere Kontakte und Saugnäpfe und plaziert sie auf den kahlgeschorenen Schädel des Proximers. Als er den Stimulationsstrom einschaltet, entspannt sich Brunos Gesicht, und beinahe sieht es aus, als würde der Dicke schadenfroh grinsen. Quadrangel zögert einige Sekunden. Soll er es in Styx' Gegenwart tun? Einerseits ist es eigentlich nicht erlaubt, wie so vieles. Andererseits würde er sich den Superproximer damit verpflichten, wenn der sich durch erwiesenes Vertrauen überhaupt verpflichten läßt. “In Anbetracht dessen, daß Sie an diesem Fall unmittelbar beteiligt sind, und davon ausgehend, daß wir etwas für Ihr seelisches Gleichgewicht tun müssen”, beginnt er betont sachlich, “halte ich es für gerechtfertigt, Sie an der Cephalovision teilnehmen zu lassen. Auf Ihre Schweigepflicht brauche ich Sie nicht hinzuweisen, denke ich.” Als er das dankbare und neugierige Aufleuchten in Styx' Augen wahrnimmt, weiß Vegard, daß er nur gewinnen kann. “Möglicherweise sehen wir Bilder, die Sie erschrecken werden. Vergessen Sie aber nicht, daß die Sprache des Unterbewußtseins eine symbolische ist, die in ihrer Intensität und ihrem Nuancenreichtum mit der bewußten verbalen Sprache in keiner Weise zu vergleichen ist”, sagt er und löscht das Licht.
Der kapiert das sowieso nicht, denkt Quadrangel dabei, aber es wird ihn ungemein
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