Drachenland: Roman (German Edition)
immer näher kam. Da spürte er in der rechten Schulter einen Schmerz wie glühendes Eisen. Das Messer entglitt ihm, er fiel zu Boden und rollte auf seine Schulter. Der Schmerz wurde dadurch noch unerträglicher – so schlimm, wie es Tenniel noch nie erlebt hatte. Er schrie laut auf. Sturz, Aufprall und Schmerz schienen kein Ende zu nehmen! Doch irgendwann tastete er mit seiner linken Hand: Ein Pfeil ragte aus seiner Schulter hervor. Da ließ ihn erneut ein stechender Schmerz in seiner Seite aufschreien. Nach einer Weile begriff er, dass ihn diesmal ein Stiefel getreten hatte. Rechts und links liefen Männer an ihm vorbei, ohne ihn im dichten Bodennebel zu sehen. Ein Stiefel traf ihn am Rücken, dann stolperte ein Mann und fiel auf seinen verwundeten Arm. Tenniel schrie wieder und begann schließlich, sich mit seinem gesunden Arm vorwärtszuziehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er Deckung unter einem bemoosten überhängenden Felsblock fand. Durch den Schmerz hindurch, der rot in seinen Ohren trommelte, hörte er in der Ferne Waffengeklirr und Kriegsgeschrei. Endlich war die Schlacht im Gange, dachte er bitter, und er war bereits ausgeschaltet.
»Es ist einfach nicht gerecht«, wimmerte er, während die letzten fandoranischen Soldaten in den Nebel hineinliefen. Dann war er allein, allein mit dem Kampfeslärm und mit seinen Schmerzen.
Von seiner günstigen Position aus sah Kiorte, dass das ganze westliche Tal von Nebel bedeckt war; näher wirbelnde Schwaden drohten den Zusammenstoß der Gegner zu verdecken. Es war ihm kaum noch möglich, Thalen und die Fandoraner im Auge zu behalten. Er hatte einen Pfeil nach dem anderen abgeschossen, aber nur manchmal getroffen. Immerhin hatte er Verwirrung gestiftet und den Vormarsch verzögert – aber nicht ausreichend, um die Flucht zu sichern. Kiorte drehte das Schiff gegen den Wind und folgte dem Weg, den sein Bruder eingeschlagen hatte. Er flog etwa zwanzig Fuß hoch, knapp über der grauen Nebelschicht, als diese plötzlich aufriss und er Thalen unter sich laufen sah, keine fünfzig Fuß entfernt von einem fandoranischen Soldaten, der ihn mit erhobener Hacke verfolgte. Kiorte warf ein Seil über Bord. »Thalen!«, schrie er. Thalen blickte hoch, sah das Seil, beschleunigte noch mehr und sprang. Die Nebeldecke schloss sich in diesem Augenblick wieder, aber Kiorte merkte an dem gestrafften Seil, dass sein Bruder heraufkletterte. Einen Moment später tauchte er aus dem Nebel auf, und Kiorte packte ihn unter den Achseln. Das Schiff neigte sich bedenklich, als er ihn an Bord zog.
»Das war knapp!«, keuchte Thalen. Er ließ sich neben die niedrige Kajüte fallen, mit zitternden Armen und Schultermuskeln.
»Knapp, ja«, stimmte Kiorte ihm zu. »Aber jetzt bist du in Sicherheit.«
»Dieses Ungeziefer«, flüsterte Thalen. »Sie haben mein Schiff zerstört – Teil meines Lebens. Ich habe es selbst gebaut.«
»Ich weiß«, sagte Kiorte leise. Die Liebe eines Windseglers zu seinem Schiff konnte man Bodenmenschen nicht erklären, aber zwischen den beiden Brüdern bedurfte es keiner Worte. »Ich werde mich hinter die Kampflinie zurückziehen«, sagte Kiorte nach einer Pause. »Unsere Brüder werden jetzt übernehmen.«
Er blickte auf die beiden anderen Windschiffe, die ihnen folgten.
»Viel können sie nicht ausrichten in diesem Nebel«, sagte Thalen. »Außerdem müssen wir an den Drachen denken …«
»Schon wieder dieses Gerede vom Drachen!«
»Es ist wahr«, sagte Thalen. »Ich habe ihn gesehen – ein Ungeheuer mit einer Flügelspanne doppelt so breit wie unsere Segel!«
»Gibt es keine vernünftigere Erklärung? Vielleicht sind die Fandoraner gar nicht so primitiv – vielleicht haben sie auch Flugschiffe …«
»Kiorte, dieses Ungeheuer lebte, da täusch dich mal nicht! Ich sah seine Muskeln, das schreckliche Feuer seiner Augen. Es war ein Drache!«
Kiorte blickte seinen Bruder an. So müde und aufgebracht Thalen auch war – Kiorte wusste, dass er die Wahrheit sprach.
»Also gut«, sagte er finster. »Wink mit den Flaggen; die anderen Schiffe sollen zu ihren Stützpunkten zwischen den Bäumen zurückkehren. Wir können hier im Augenblick nichts ausrichten – wir landen hinter der Kampflinie. Ich habe ein paar Worte mit Falkenwind zu reden.«
Amsel eilte den schmalen Marmorweg neben dem Fluss entlang. Die Kinder argwöhnen etwas, dachte er. Inzwischen muss die Prinzessin Wegwächter ausgeschickt haben, um mich suchen zu lassen.
Er schirmte seine
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