Drachenland: Roman (German Edition)
stolperte über Amsel und fiel mit einem Ausruf nach vorn. Amsel zerrte den Dolch aus dem Gürtel des Mannes, drehte sich um und rannte auf die Eiche zu. »Auf die Beine mit dir, du ungeschickter Tölpel!«, rief der erste Wächter dem zweiten zu. »Er haut ab!« Er lief hinter Amsel her. Zum Glück hatte Amsel es nicht weit. Bei der Eiche durchschnitt er mit einem Dolchhieb das dünne, aber kräftige Tanselseil, das die Hälfte der übrigen Seile hielt. Sie klatschten herunter, und die beiden Wächter verhedderten sich in dem Durcheinander. Zornige Rufe und das Klirren zerbrechender Laternen folgten Amsel, während er den Dolch in die Scheide an seinem Gürtel schob und rasch den Baum hinaufkletterte. Geschützt vom Laub, sah er sich oben mit klopfendem Herzen um und stellte fest, dass die Zweige der nahe zusammenstehenden Bäume ineinander verflochten waren. Zum ersten Mal seit Langem fühlte Amsel sich wieder wie zu Hause. Durch das Blätterdach konnte er mit größerer Sicherheit und fast ebenso schnell wie unten vorankommen.
Von ferne hörte er immer noch die aufgebrachten Stimmen der Wächter. Er lächelte etwas mühsam. »Wenn ich nur immer so schlau wäre«, murmelte er und arbeitete sich rasch und geschickt über die Zweige auf das Zentrum des Waldes zu.
Falkenwind hatte die Armee in drei Divisionen aufgeteilt: Die Infanterie sollte den Fandoranern frontal entgegentreten, die Kavallerie, die er mit Vora zusammen anführte, sollte den Feind umzingeln und von hinten angreifen, und die dritte Division aus den Weldenern und anderen Freiwilligen sollte in der Nähe des Waldes die Stellung halten, falls es irgendwelchen Fandoranern gelingen sollte, bis hinter die Linie vorzudringen.
Die simbalesische Infanterie rückte in geschlossener Formation rasch vor und blickte voller Verachtung auf das wilde, undisziplinierte Vordringen der Fandoraner, aber als der Nebel dichter wurde, begriffen sie, dass die Fandoraner, diszipliniert oder nicht, eindeutig eine Bedrohung darstellten: Sie sahen den Absturz des Windschiffs als Beweis dafür, dass sie gegen die Zaubertricks ihrer Gegner immun waren. Und jetzt entluden sich all die Gefühle, die sich während der vergangenen Tage angestaut hatten, das Unbehagen, die Enttäuschung und die Qualen. Jetzt endlich hatten sie etwas Greifbares, etwas Menschliches vor sich, gegen das sie sich wehren konnten.
Das erste wilde Aufeinandertreffen war nur von kurzer Dauer. Nachdem Falkenwind und Vora die Fandoraner mit eingekreist hatten, fanden sie sich plötzlich mit brüllenden Männern konfrontiert, die alle möglichen Gegenstände als Waffe benutzten, Fragmente von Rüstungen trugen, sich mit Schilden aus Holz und Häuten schützten und ohne Ordnung oder Vernunft angriffen. Einige der Fandoraner zögerten kurz, als sie sahen, dass ihnen nicht nur simbalesische Männer, sondern auch Frauen gegenüberstanden, aber die Kampfeslust hatte sie zu sehr ergriffen, als dass das lange von Bedeutung war. Falkenwinds kampftrainiertes Pferd scheute nicht, als die Kämpfenden immer näher rückten. Ein fandoranischer Soldat hob eine Hacke gegen Falkenwind; das Pferd bäumte sich auf und schlug mit seinen Vorderhufen dem Bauern die Behelfswaffe aus den Händen. Ein anderer Mann, der die Lederschürze eines Schmiedes trug, sprang von hinten auf den Sattel und versuchte, Falkenwind zu erstechen. Falkenwind schlug ihm ins Gesicht und verlor dabei den Zügel aus seinem Griff. Das Pferd bockte und warf den Fandoraner ab. Das edle Tier reagierte so schnell und so gut auf Falkenwinds Befehle, dass sie zusammen wie ein einziges Wesen erschienen. Aber es erfolgten immer wieder neue Angriffe auf Falkenwind, und sein Schwert war öfter als einmal in Blut getaucht.
Die Schlacht wogte in dem engen Tal hin und her, und keine der beiden Seiten gewann für längere Zeit an Boden. Es wurde vorwiegend Mann gegen Mann gekämpft; es war weder Platz noch Zeit, die Armbrüste zu benutzen. Die Nordweldener verachteten diese komplizierten Waffen ohnehin und zogen die Langbogen vor, aber der Nebel erschwerte die Sicht und machte die Sehnen feucht und unbrauchbar. So tobte der Kampf mit Schwertern, Spießen, Messern und Äxten, heftig und ohne Gnade.
Falkenwind wendete sein Pferd und sah, wie eine Gruppe von Fandoranern eine kleinere Abteilung von Simbalesen bedrängte. Die Fandoraner wurden von einem grimmigen alten Mann mit wehendem weißen Haar und einem jetzt rot gefleckten Bart angeführt. »Für Fandora!«, schrie
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