Drachenland: Roman (German Edition)
den Fels zu prallen. Kreischend griff er von Neuem an und stieß dann einen enttäuschten Schrei aus, weil die Felsspalte zu eng für ihn war.
Der Frostdrache spähte durch die Spalte herein. Seine Ausdünstung drang in den engen Gang, und Amsel musste plötzlich gegen Übelkeit ankämpfen. Er lief tiefer in den hellen Tunnel hinein.
Einige Minuten später hörte er das Geräusch eines Felsrutsches; gleichzeitig wurde das Flügelschlagen leiser. Amsel drehte sich um und sah den Frostdrachen davonfliegen. Es ängstigte ihn, dass eines der Geschöpfe dazu bestimmt worden war, ihn zu verfolgen, aber er wusste, dass er jetzt in Sicherheit war – zumindest vor ihm.
Amsel blickte sich in der Höhle um. Der Tunnel war hoch und ziemlich breit, und je weiter er in das Kliff führte, um so breiter wurde er. Offensichtlich war die Öffnung einst viel größer gewesen, aber ein Erdrutsch hatte sie vor langer Zeit verschüttet. Als Amsel wieder zu Atem gekommen war, sah er, dass die Wände und der Boden des Tunnels leuchteten. Sie fühlten sich warm an und waren angenehm zu berühren. Zuerst hatte er keine Vorstellung, worauf dieses Phänomen zurückzuführen war, aber bei näherer Untersuchung stellte er fest, dass alle Felsen einheitlich mit einer Art Flechte bedeckt waren. Amsel kratzte mit dem Finger einige Stückchen von der Wand ab. Sie leuchteten auf seiner Handfläche kurz auf und wurden dann zu Asche. Amsel steckte die Asche instinktiv in seine Tasche, und dann machte wissenschaftliche Neugier plötzlich kindlicher Erregung Platz. Er wusste jetzt, was er gefunden hatte!
»Die Wände leuchten«, sagte er atemlos, »und dies ist in der Tat eine Höhle!« Er berührte die Flechte vorsichtig. »Die Leuchtenden Höhlen! Dies sind die Leuchtenden Höhlen!« Nach der Legende hatten die echten Drachen hier gelebt. Er hatte einen im Eis eingefrorenen Drachen gesehen. Vielleicht gab es hier drinnen noch Feuerdrachen, die lebten!
Amsel begann, tiefer in die Höhle vorzudringen, und überlegte dabei, warum wohl der Drache im Eis so nahe bei den Leuchtenden Höhlen ein so schreckliches Schicksal erlitten hatte.
Die leuchtende Flechte bedeckte alles hier drin, und ihre unterschiedliche Dichte erzeugte verschiedene Lichtstärken von Beige über ein sonniges Gelb bis zu Orange. Amsel ging unter natürlichen Bogengängen hindurch, an riesigen Stalagmiten und Stalaktiten vorbei. Obwohl gelegentlich ein Wind durch die Tunnel wehte, war die Temperatur sehr angenehm. Alles in allem ein ganz gemütliches Plätzchen, dachte er, aber ziemlich einsam, könnte ich mir vorstellen. Wieder wunderte sich Amsel über sich selbst – er, der Einsiedler!
Er folgte einem großen Tunnel, der auf einen noch breiteren Tunnel stieß, in dessen Mitte ein Bach floss – zweifellos ein Nebenfluss des Flusses, auf dem Amsel gefahren war.
Der Tunnel führte stetig nach unten und gabelte sich nach einer ganzen Weile. Amsel wandte sich nach links und landete in einem größeren Raum, in dem es jedoch weiter bergab ging – der Bach verschwand jetzt in einem kleinen Tunnel zur Rechten. »Ich nähere mich irgendwem oder irgendetwas«, murmelte Amsel, und als er an der Öffnung, in der der Bach verschwand, vorbeikam, wurde ihm klar, dass der Tunnel am Rand eines Kliffs endete. Das Rauschen des Baches verblasste, stattdessen hörte er ein anderes Geräusch – eine tiefe, langsame, gleichmäßige Luftbewegung wie ein Ein- und Ausatmen. Das kann nicht sein, dachte er – was kann so atmen, dass ein einziger Atemzug zehn meiner eigenen Atemzüge entspricht? Und dann begriff Amsel: Die lange Suche war zu Ende. Er ging zum Rand des Kliffs und blickte vorsichtig hinunter. In einem unterirdischen Raum von gewaltigen Ausmaßen bewegte sich im Licht der Flechten stumm ein Paar legendärer Flügel. Auf dem grauen Steinboden schlief ein echter Drache, ein Feuerdrache.
Vora sah Kiortes Windschiff im Licht der Morgendämmerung zu Boden gehen. Der Prinz wurde von einem Palastwächter begleitet. Vora wusste, dass dieser Soldat schlechte Nachrichten für Falkenwind brachte. Kiorte und der Wächter traten zu Vora, und der Wächter überreichte ihm wortlos eine Schriftrolle, die eine öffentliche Bekanntmachung enthielt.
Der General sah das Wachssiegel und runzelte die Stirn – es war das königliche Wappensiegel. Er öffnete die Rolle, las den Beschluss und blickte entsetzt auf. Evirae sollte am nächsten Tag zur Königin ernannt werden! Kiorte war gekommen, um die
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