Drachenland: Roman (German Edition)
Drachen. Immer wieder brachen Stalaktiten und Stalagmiten krachend zusammen, wenn die mächtigen Flügel und Schultern gegen sie stießen, und Amsel suchte dann unter dem massigen Körper Deckung.
»Wir sind fast da«, sagte Amsel, als er eine rosagelbe Biegung im Tunnel wiedererkannte, »aber der Eingang, durch den ich gekommen bin, ist viel zu klein für dich.«
»Ja«, brummte der Drache, »die Eingänge vieler Tunnel wurden schon vor langer Zeit von Felsen und Eis verschüttet. Wir hatten oft Mühe, die Höhlen zu verlassen.«
Als sie an den Eingang kamen, sah Amsel, dass ein Steinschlag ihn inzwischen völlig verschlossen hatte. Der Drache stieß einen kurzen, knurrenden Laut aus. »Warte«, sagte Amsel und lief vor, um die neu hinzugekommenen Felsbrocken mit dem Fuß zu prüfen. »Sie liegen nicht sehr dicht aufeinander«, sagte er. »Du kannst sie leicht wegschieben.«
Der Drache blickte Amsel an. »Ich bin müde«, sagte er würdevoll. »Ich habe nicht den Wunsch, etwas in Bewegung zu setzen.«
»Aber du musst! Es ist der einzige Ausweg, den ich kenne.«
»Es gibt noch andere«, erwiderte der Drache. »Wir werden einen suchen, der nicht zugeschüttet ist.«
»Nein«, rief Amsel, »vielleicht sind die Frostdrachen jetzt schon dabei, sich auf den Flug in den Süden zu begeben! Wir müssen so schnell wie möglich zu ihnen gelangen!«
Der Drache schnupperte die staubige Luft. »Du weißt nicht, was Geduld ist!«, sagte er. »Die Menschen müssen immer genauso schnell handeln, wie sie sprechen!«
Amsel runzelte die Stirn. »Das ist sehr interessant«, rief er, »aber du hast gesagt, dass du uns hilfst!«
Die blauen Augen des Drachen weiteten sich. »Also gut. Tritt zurück, damit du nichts abbekommst.«
Amsel verbarg sich hinter dem Schwanz des Riesengeschöpfs, und der Letzte Drache stemmte die Stirn seines gehörnten Kopfes gegen die Felsbrocken und schob. Etwas verlagerte sich, ein dumpfes Hallen ertönte, und dann war das Geräusch von sich aneinanderreibenden Felsen zu hören. Amsel vernahm, wie sich die alten Knochen des Drachen unter der geriffelten weißen Haut bewegten, und dann hörte er das nervenzerreibende Geräusch von Krallen, die an den Felsen kratzten. Plötzlich war da eine Explosion aus Steinen und Staub. Amsel schaute zwischen den Vorderbeinen des Drachen hindurch und sah eine Lawine von Felsblöcken. Winzige Stücke Fels flogen ihm ins Gesicht, und eine dichte graue Wolke nahm ihm die Sicht und brachte ihn zum Niesen. »Der Drache nennt sich alt und schwach«, murmelte Amsel. »Wie er wohl in seiner Jugend gewesen sein mag!«
Amsel lief auf die neue Öffnung zu, ein Loch, das jetzt auch für ein Wesen von gewaltigen Ausmaßen groß genug war. Als er an den Rand trat, sagte sein Begleiter: »Hoffentlich bist du jetzt zufrieden. Ich jedenfalls bin so müde, dass ich mich nur noch ausruhen kann.« Damit senkte er den Kopf auf den Felsboden. Seufzend blickte Amsel aus dem neu geschaffenen Ausgang und stellte überrascht fest, dass es draußen dunkel war. Offensichtlich war er länger in der Höhle gewesen, als er gedacht hatte. Und das war gut so, denn es hatte geregnet. Schwarze Wolken bedeckten den Himmel, Hagelschauer kamen herunter, der Fluss war nicht mehr zu sehen. Amsel schauderte, als die kalte Luft ihn umfing.
»Ich kann nicht fliegen«, sagte der Drache. »Ich brauche Nahrung und Ruhe.«
Amsel blickte ihn an und nickte. »Am Ufer des Flusses gibt es eingefrorenes Schilf und Gras. Ich könnte mit meinen Händen nichts ausrichten, aber du schon mit deinen Krallen.«
Der Drache stöhnte. »Ich möchte nie wieder den Frost spüren!«
»Völlig einverstanden«, sagte Amsel mit klappernden Zähnen, »aber ich glaube, wir haben keine andere Wahl.«
Der Drache betrachtete die ferne Küstenlinie mit prüfenden Blicken. Dann hob er den Kopf mit einem unerwarteten Schrei und rief: »Ich muss etwas zu essen finden.«
Amsel trat zur Seite, der Drache bewegte sich nach vorn. Dann verließ er mit einem Aufstöhnen die Höhle. Amsel lächelte, als der Drache den tiefen Hang hinunterlief, mit halb ausgebreiteten Flügeln, um das Gleichgewicht zu halten. Der Drache reckte den langen Hals verächtlich dem Wetter entgegen und begab sich zum Fluss. Amsel wusste nicht, was der Drache dachte, aber er hoffte, dass er glücklich war, glücklich, am Leben zu sein und wieder gebraucht zu werden – wenn auch von den Menschen.
Er selbst war auch hungrig und müde – und er fror. Ihm war nicht
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