Drachenland: Roman (German Edition)
klar gewesen, wie viel Wärme der Körper des Drachen ausstrahlte. Jetzt, da er allein auf dem Boden der Höhle stand, kam er fast um vor Kälte!
Er lief den Tunnel hinunter, um sich in eine gemütliche Nische zwischen zwei leuchtenden Felsen zu kauern. Er lehnte den Kopf gegen die Flechten, aber während er sich noch vornahm, wach zu bleiben für den Fall, dass ein Frostdrache auftauchte, war er schon eingeschlafen.
Ein Klopfen auf dem Steinboden weckte ihn kurze Zeit später wieder. Der Drache stand vor Amsel und beobachtete ihn ganz offensichtlich erheitert. Er hatte fahle nasse Grasbüschel in den Krallen. »Du hast etwas gefunden!«, sagte Amsel. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich mir etwas nehme?«
Der Drache reichte ihm vorsichtig die Pranke, und Amsel nahm sich Gras und aß es.
»Es ist kälter geworden. Ich kann nicht fliegen.«
Amsel schüttelte den Kopf. »Wenn ich einen Flug in den Norden überlebe, kannst du es auch.«
Diese Worte verwirrten den Drachen. »Menschen können nicht fliegen«, sagte er.
Amsel lächelte. »Die Menschen haben Schiffe, die durch die Luft segeln wie Boote auf dem Meer. So bin ich zu den Höhlen der Frostdrachen gekommen.«
»Menschen haben keine Flügel.«
»Nein«, entgegnete Amsel, »aber du hast welche.« Er wusste, dass er jetzt seine ganze Überredungskunst anwenden musste.
Der Drache hatte es nicht eilig, die Höhle zu verlassen. Amsel ging auf die Öffnung zu.
»Wo willst du hin?«, fragte der Drache.
»Nach Norden«, sagte Amsel. »Wir fliegen zusammen nach Norden. Wir dürfen nicht länger warten!« Er ging weiter und hörte erleichtert, dass der Drache ihm folgte. Am Ende des Tunnels sah Amsel, dass der Himmel zwar noch dunkel war, der Regen aber aufgehört hatte. Amsel drehte sich um und sagte einfach: »Wir müssen uns jetzt auf den Weg machen.«
Der Drache hob stolz den Kopf und rief: »Du winzige Kreatur! Verstehst du denn nicht? Ich bin fast ein Drachenleben lang nicht geflogen. Ich bin müde, und ich bin alt.«
»Du hast deine Flügel«, sagte Amsel. »Du kannst sie immer noch benutzen, wenn du willst!« Er begann, über den nassen vereisten Hang vor der Höhle zu klettern. Der Drache beobachtete Amsel aus seinen dunkelblauen Augen. Ein eisiger Windstoß ergriff sie beide. Amsel kletterte weiter den Hang hinunter, zitternd, aber unerschrocken.
Er drehte sich um und schrie noch einmal: »Du musst fliegen!« Dann blickte er über den Drachen hinweg auf das Kliff über der Höhle. Wieder sah er das schon vertraute Bild eines eingefrorenen Drachen. Und plötzlich wusste er, wie er den Drachen zum Fliegen bewegen konnte. »Sieh dich um!«, schrie er. »Sieh dich um, über dir ist ein anderer Drache!«
Er sah zu, wie der Letzte Drache den Hals verdrehte, um den Himmel über dem Kliff mit den Augen abzusuchen. Dabei entfaltete er unbewusst die Flügel. Doch dann brüllte er: »Versuch nicht, mich zu überlisten! Ich werde mich nicht noch einmal von Menschen betrügen lassen!«
»Nein!«, rief Amsel. »Dort drüben! Dort ist wirklich ein Drache!«
Der Letzte Drache blickte sich noch einmal um, und diesmal sah er den im Eis eingeschlossenen Drachen. Ein lang gezogener, kummervoller Ton entrang sich seiner Kehle und hallte durch die Tunnel hinter ihnen, lauter noch als der Wind.
Die prachtvollen Flügel breiteten sich plötzlich aus, spreizten sich und breiteten sich wieder aus. Der Letzte Drache hob stolz den Kopf, und der riesige Körper bewegte sich bis zum Rand der Klippen. Langsam, aber ohne zu zögern, erhob der Drache sich in die Lüfte.
Amsel staunte über die Schönheit des Wesens im Flug. »Er ist der Legenden würdig«, flüsterte er. Er bedauerte, dass er dem Drachen etwas gezeigt hatte, was ihm solche Qual brachte, aber er wusste, dass es noch mehr Qualen geben würde, wenn er es nicht getan hätte.
Es fiel ihm schwer, zu glauben, dass dieses Geschöpf das letzte seiner Rasse sein sollte. »Irgendwo muss es noch welche geben«, sagte er laut. »Sie sind zu schön, um völlig von der Erde zu verschwinden.«
32
In den kahlen Bergen, wo noch einige kleinere Tiere trotz der Kälte überlebt hatten, fraßen die Frostdrachen sich satt. Der Düsterling hatte sie aufgefordert, zu jagen und zu fressen, so viel sie nur konnten, weil er wusste, dass sie ihre ganze Kraft für den langen Flug und den bevorstehenden Kampf brauchen würden. Während sie fraßen, sprach er in den rauen, zischenden Lauten ihrer Sprache auf sie ein: Die
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