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Drachenland: Roman (German Edition)

Drachenland: Roman (German Edition)

Titel: Drachenland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Reaves
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Luft, unterbrochen von dem Keuchen der Männer.
    Inzwischen umgab sie grauer Nebel gespenstisch von allen Seiten. Tamark hatte plötzlich das eindringliche Gefühl, dass das, was sich in den Netzen befand, was es auch sein mochte, nicht für Menschenaugen bestimmt war. Dieses bleierne Gewicht war unheilvoll in seinem Widerstand, seinem Widerstreben, jene lichtlosen Tiefen zu verlassen, aus denen es heraufgezerrt wurde. Er musste tief atmen, damit diese plötzliche Angst ihn nicht überwältigte. Aber er gab nicht den Befehl, die Leinen zu kappen, weil man die Netze schließlich nicht kindischen Ängsten opfern durfte. Er biss die Zähne zusammen, schüttelte den Kopf und drehte weiter.
    Sie merkten jetzt, dass die Netze an die Oberfläche kamen, da das Kurbeln etwas leichter wurde. Doch es konnte niemand an den Rand des Kliffs treten, um nach der Beute zu sehen – alle Mann wurden an den Winden gebraucht. Langsam ächzten die Leinen durch die Furchen.
    »Fast geschafft«, keuchte Tamark plötzlich. Das eine ermutigende Wort wurde von den anderen aufgegriffen: »Fast! Fast geschafft!« An der Länge der um die Trommeln gewickelten Leinen konnte er sehen, dass die Netze gleich auftauchen würden. Er sehnte sich danach, es hinter sich zu haben, seinen Muskeln eine Ruhepause zu gönnen. Doch im Innersten fürchtete er sich davor.
    Die Netze kamen über das Kliff.
    Einen Augenblick lang verbarg der Nebel sie, dann zerteilte ihn eine Brise vom Meer. Die Fischer hörten auf zu kurbeln. Sie starrten auf das, was dort hing, in die Netze verwickelt und von Nebelfetzen umhüllt.
    Es war das weiße, sauber abgenagte Skelett eines Wesens aus dem Meer, wie Tamark es noch nie gesehen hatte. Es war gigantisch, über fünfzig Fuß lang, der Kopf größer als ein ganzes Pferd. Eine lange, gewundene Wirbelsäule deutete auf einen gekrümmten Hals hin, während der Rumpf, nach der Länge der Rippen zu urteilen, etwa zehn Fuß dick gewesen sein musste. Kein Fitzelchen Fleisch hing mehr an den Knochen – die Aasfresser der Meere hatten dafür gesorgt. Und doch hing das Skelett noch zusammen, gehalten von den Bändern und Sehnen, die hart wie Taue schienen. Am Schädel fehlte der Unterkiefer, aber die mächtigen gebogenen Zähne des Oberkiefers zeigten, dass es sich um ein Raubtier handelte. Zwei der Zähne waren länger und dicker als Tamarks Arm. Aus den schwarzen Augenhöhlen tropfte Wasser – eine beunruhigende Andeutung von Tränen.
    Niemand bewegte sich. Niemand sprach. Außer dem Ächzen der Leinen war kein Geräusch zu hören. Dann erklang von hinten das unheimliche Jammern des Windes, der durch die Spalten im Kliff drang. Auf der anderen Seite entfuhr einem der Männer ein Schrei.
    Als habe das Geräusch sie zerschnitten, riss eine der Leinen, die den riesigen Schwanz hielten. Mehr als dieser plötzlichen Gewichtsverlagerung bedurfte es nicht: eine Leine nach der anderen zerriss, mit Geräuschen, als brächen Knochen. Die Männer hatten kaum genug Zeit, sich auf die plötzliche Gewichtsentlastung einzustellen. Die dicken Stangen schnellten auf und nieder wie Reitgerten, und als die letzte Leine riss, schien der glänzende Schädel Tamark auf seltsame, schreckliche Weise verständnisvoll zuzunicken. Dann stürzte das Skelett zusammen mit den zerfetzten Netzen in die Tiefe. Mehrere Fischer liefen an den Rand des Kliffs, um zu sehen, wie es im watteartigen Nebel verschwand, und um das Aufklatschen zu hören, schwach und gedämpft. Tamark rührte sich nicht – er hatte noch im Geist den augenlosen Blick des Ungeheuers vor sich, das ihn ausgewählt zu haben schien.
    Die Männer waren wie betäubt, sowohl wegen ihres Verlustes als auch wegen des Wesens, das den Verlust verursacht hatte. Allmählich durchdrangen einzelne Stimmen Tamarks Betroffenheit.
    »Was war das nur?«
    »Noch nie was Ähnliches gesehen.«
    Die hohe, zitternde Stimme des alten Kenan, des Netzeflickers, übertönte die Betrachtungen. »Ich sag euch, was ihr da eingefangen habt«, sagte er. »Das waren die Überreste eines Seewurms, einer Ozeanschlange – alter Schiffzerquetscher nannten wir sie. Sie konnte ein Fischerboot umschlingen und zu Kleinholz zerdrücken. Ich hab nur einmal eine gesehen, aus der Ferne, wie sie sich durch das Wasser wand, rein und raus, wie ein Stopffaden durch eine Jacke. Das war vor vierzig Jahren, aber ich vergess es nie.«
    Die Diskussion wurde wieder lauter; schon jetzt wurde die Geschichte immer weiter ausgeschmückt. Tamark drehte

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