Drachenland: Roman (German Edition)
Windschiff zu beherrschen!«
Thalen hob eine Hand, um einem ihm wohlbekannten Redefluss Einhalt zu gebieten. »Trotzdem«, sagte er, »musst du deine Zunge hüten, denn jedermann weiß, wie sehr Evirae den Rubin begehrt.«
»Um Evirae mache ich mir keine Sorgen, sondern um Simbala. Ich betrachte die Ernennung dieses Bergarbeitersohnes als Abwendung von der herrschenden Regierungsform trotz aller guten Absichten; und ich bin nicht der Einzige. Er hat noch nicht das volle Vertrauen des Volkes. Vielleicht wird er es nie haben. Sollte es zu einer Krise kommen, werden sie sich schnell gegen ihn wenden.« Kiorte zog den Kragen seiner Uniform gerade.
»Das gehört zum Berufsrisiko eines Monarchen«, sagte Thalen und wischte den Staub vom Hut seines Bruders.
»Richtig. Aber Monarchen kommen und gehen, die königliche Familie von Simbala besteht seit jeher. Was mir Sorgen macht, Thalen, ist, dass sie untergehen könnte.«
8
Die Reise über die Straße von Balomar war zu einem Albtraum geworden. Segeln hatte Amsel immer nur als Hobby betrieben, und das bedauerte er jetzt. Er hatte gehofft, dass er für die Überfahrt nur einen Tag brauchen würde, auch gegen den Wind, und hatte daher nur wenig Vorräte dabei.
Seine Unkenntnis der Schifffahrtsverhältnisse in der Meerenge war sein Verhängnis. Zuerst war die See verhältnismäßig ruhig, aber dann, als er sich der Mitte der Straße näherte, wo die beiden großen Meere aufeinandertrafen, wurde ihm klar, wie töricht sein Unterfangen war. Vom Wind und von entgegengesetzten Strömungen getrieben, prallten die Wellen auf jede nur vorstellbare Weise aufeinander. Er steckte mittendrin, bevor ihm die Gefahr voll zu Bewusstsein kam, und nur die Leichtigkeit seines kleinen Bootes hatte ihn vor dem Kentern bewahrt.
Das Boot wurde auf der schäumenden See hin und her geworfen, und Amsel war bald so seekrank, dass er sich nur hilflos festklammern konnte. Zuerst bewegte er sich in Kreisen, dann packte ihn eine starke Strömung und trug ihn hinaus aus dem schlimmsten Kern der Turbulenzen in ruhigere Wasser, doch geriet er dabei mit großer Geschwindigkeit immer weiter nach Norden. Anfangs versuchte er, gegen die Strömung zu segeln, aber die schweren Wellen hatten ihn erschöpft, und ihm wurde bald klar, dass die Strömung ihn von dem Punkt, wo er hatte landen wollen, weit abtrieb. Den Rest des Tages und die lange Nacht hindurch trieb er hilflos dahin. Als die Sonne am Ende seines zweiten Tages auf See unterging, stand ein starker Wind der jetzt landwärts gerichteten Strömung entgegen. Im Abendlicht konnte Amsel mit Mühe ein paar Leute an dem fernen Strand erkennen. Er winkte, aber niemand reagierte darauf.
Der Wind nach Nordwesten wurde stärker. In hilflosem Entsetzen erkannte Amsel, dass er an Simbala vorbei hinaus auf das Nordmeer getragen wurde, das Drachenmeer der Legenden. Erst spät in dieser Nacht ließ der Wind nach, und die Strömung verlief sich im offenen Meer. In der Windstille fiel Amsel endlich in einen erschöpften Schlaf.
Als er am nächsten Morgen erwachte, war der Himmel bedeckt; es war keine Sonne zu sehen, die ihm hätte eine Vorstellung vermitteln können, wo Land lag. Da es aber völlig windstill war, spielte dies auch kaum eine Rolle. Das Segel hing schlaff gegen den Mast.
Er billigte sich ein paar Schlückchen Wasser und einen Mundvoll Käse zu. Die Tatsache, dass seine Landsleute sich auf einen selbstmörderischen Krieg gegen ein anderes Land vorbereiteten, während er hilflos auf dem Wasser trieb, war zum Verrücktwerden, aber er gab sich selbst strenge Weisung, keine Energie zu verschwenden, indem er darüber nachdachte.
Seine Gedanken wurden von einem seltsamen Geräusch unterbrochen; einen Augenblick lang klang es wie ferne Brecher, und sein Herz machte einen Satz. Dann wurde ihm klar, dass das Geräusch von oben kam. Amsel starrte empor. Es kam ihm so vor, als hätte er in den grauen Wolken über ihm flüchtig eine merkwürdige, gleichmäßige Bewegung erkannt wie die Bewegung der Flügel eines Vogels – aber welcher Vogel, der so hoch flog, dass die Wolken ihn verdeckten, konnte so groß sein?
Er lauschte konzentriert, aber das Geräusch war verschwunden. Er blinzelte und rieb sich die Augen – die Bewegung war ebenfalls verschwunden. Alles war still, Amsel schüttelte den Kopf. »Schon Halluzinationen – ein schlechtes Zeichen«, murmelte er.
Später am Vormittag lösten sich die Wolken auf. Dies, so sagte sich Amsel, war zu
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