Drachenland: Roman (German Edition)
über Staatsgeschäfte. Ist es nicht hinreißend?«
»›Skandalös‹ würde besser passen«, schnaubte General a. D. Jibron. Er war hochgewachsen, grauhaarig, aber ungebeugt und seiner Meinung nach in besserer körperlicher Verfassung als viele der simbalesischen Soldaten, die seine Söhne hätten sein können. »Wieder mal ein Zeichen für die Laxheit des gegenwärtigen Regimes«, teilte er seiner Ehefrau mit. »Es ist eine Komödie – der Monarch und seine wichtigste Ratgeberin stammen aus dem Volk, und wahrscheinlich ist sie auch seine Geliebte; der General, mein Nachfolger, ist ein Schandfleck, der nur sehr entfernt mit der Familie verwandt ist, und der Vorgänger des neuen Königs ist senil. Hier wird mehr Theater gespielt als in den Sälen des Südlands.«
»Sprich nicht so von Ephrion«, sagte Estelle in kühlem Ton. Jibron sah seine Frau an, im Begriff, noch etwas hinzuzufügen, doch da Ephrion ihr Bruder war, hielt er es für besser, zu schweigen.
Hinter ihnen ging der Anlass für die Prozession, Prinz Kiorte, der sich in seiner Galauniform offensichtlich nicht wohl fühlte. Obwohl sie in aller Eile gereinigt und gebürstet worden war, zeigte seine Uniform immer noch Spuren der Bergung, die er mitten in den Vorbereitungen zu der Zeremonie vollbracht hatte. Der Stolz jedoch, der von ihm ausging, hielt auch seine engsten Freunde davon ab, eine Bemerkung darüber zu machen.
Neben Kiorte ging eine junge Frau. Sie war groß und sehr schön, größer sogar als ihr Ehemann Kiorte wegen ihres kegelförmig aufgesteckten Haares; die Flechten hatten die Farbe des Sonnenuntergangs und waren mit Ketten aus Edelsteinen und Perlen geschmückt. Ihre Haut war blass, fast durchscheinend, und ihre Augen waren von dem Grün des sie alle umgebenden Waldes. Der etwas schmollende Ausdruck ihres Mundes verlieh ihr eine jungmädchenhafte Schönheit, die viele Männer hinreißend fanden. Ihre Nägel waren fast ebenso lang wie ihre Finger, und jeder war in einer anderen Farbe lackiert. Sie ging mit starr geradeaus gerichtetem Blick und lächelte nur gelegentlich nach rechts oder links. Sie war Evirae, Prinzessin von Simbala.
Evirae verlangsamte ihre Schritte, bis sie sich auf gleicher Höhe mit einem jungen braunhaarigen Mann befand, der die Uniform eines Palastbeamten trug. Er sah sie nicht an, als sie sprach. »Lächelt, Eure Hoheit«, sagte er leise und mit einer Spur von Zynismus. »Dies ist ein freudiges Ereignis. Euer Gemahl wird bestallt zum rechtmäßigen Oberhaupt der Brüder des Windes. Seid Ihr nicht entzückt?«
»Natürlich bin ich das, Mesor.« Sie lächelte strahlend und winkte den Zuschauern zu. »Es ist nur schwer, die richtige Freude aufzubringen, wenn die Empfehlung von einem Monarchen aus den Minen stammt.«
Kiorte sah sich um nach seiner Frau und ihrem Ratgeber, sagte aber nichts. Evirae hielt den Atem an. »Hat er uns gehört?«
»Bestimmt nicht«, sagte Mesor. »Es ist einfach nur schlechter Stil, für länger als einige Augenblicke von seiner Seite zu weichen. Ihr wisst, wie viel Wert Prinz Kiorte auf die Wahrung der Form legt. Wolltet Ihr mich etwas fragen?«
Sie seufzte. »Nein. Eigentlich nicht. Ich wollte nur sagen, wie sehr ich es verabscheue, hinter denen herzulaufen.« Das denen klang böse gedehnt und wurde von einem bedeutungsvollen Blick auf Falkenwind und Ceria begleitet.
»Aber Ihr müsst hinter ihnen gehen – jedenfalls für den Augenblick.«
Evirae blickte Mesor an und lächelte. »Du bist spitzfindig.« Das Lächeln verschwand. »Ich fürchte, ich bin es nicht. Du weißt, was man über mich sagt – das Volk?«
»Das Volk redet immer«, sagte Mesor vorsichtig.
»Wenn jemand von einem heftigen Wunsch besessen ist, heißt es in jüngster Zeit, ›sich etwas wünschen, wie Evirae sich den Rubin wünscht‹.« Sie machte eine Pause. »Bin ich zu leicht durchschaubar, Mesor?«
»Wie könnte jemand die rechtmäßige Erbin als leicht durchschaubar beschreiben?«, entgegnete Mesor. »Aber vielleicht wäre es … diplomatischer, wenn Ihr Eurem Groll nicht so offen Ausdruck gäbet. Früher oder später wird sich herausstellen, dass der Bergmann und das Rayanermädchen der Aufgabe nicht gewachsen sind. Schließlich sind sie nicht von königlichem Geblüt. Euer Tag wird kommen, Prinzessin Evirae, davon bin ich überzeugt.«
»Ja …«, sagte Evirae. »Aber wir müssen nachhelfen.«
»Ich habe immer Eure Interessen im Auge, königliche Hoheit. Kehrt jetzt lieber zu Eurem Gemahl
Weitere Kostenlose Bücher