Drachenland: Roman (German Edition)
Neugier packte Amsel, doch da schlug ein Pfeil dumpf im Boden seines Bootes auf. Er betrachtete ihn. Der Schaft war mit einem blauen Band umwickelt.
»Dies ist simbalesisches Hoheitsgebiet. Verlasse dein Boot!«
Amsel blickte auf und sah zwei Männer in dunkelblauen Uniformen, die sich über die Reling des Windschiffes beugten. Der größere der beiden zielte mit einer Armbrust direkt auf ihn.
»Verstehst du mich?«, brüllte der Mann.
»Ja«, erwiderte Amsel. Die Sprache der Simbalesen glich der der Fandoraner, aber die Betonung machte sie schwer verständlich.
Eine Strickleiter wurde vom Windschiff heruntergelassen. »Verlasse dein Boot«, sagte der Windsegler wieder, und ein zweiter Pfeil bohrte sich neben Amsel in die kleine Holzbank.
»Offensichtlich habe ich keine andere Wahl«, sagte der Erfinder, aber als er aufstand, um nach der Leiter aus Jitefasern zu greifen, merkte er, wie geschwächt er war. Mit großer Mühe ergriff Amsel sie und blickte dabei übers Wasser. Zu seiner Überraschung war nur wenige Meilen entfernt Land in Sicht. Er hatte den ganzen vergangenen Tag gepaddelt und sah erst jetzt, dass er die Strömung verlassen und sich dem simbalesischen Ufer genähert hatte. Diese Feststellung gab ihm Auftrieb, und er begann, die Leiter hinaufzuklettern. Doch unter seinem Gewicht fing sie an, sich zu drehen, und es wurde ihm schwindelig. Er verlor den Halt und fiel mit einem Platschen ins azurblaue Wasser.
Die beiden Windsegler blickten angewidert nach unten. »Ein Fandoraner«, sagte der Erste.
»Das erklärt alles«, sagte der Zweite.
11
Jondalrun sah den Kindern von Tamberly beim Kicken mit einem Stoffball zu, dem Beti-Spiel. Einige von ihnen würden ihre Väter und Brüder verlieren, dachte er traurig, und der Krieg würde ihr bislang so ruhiges Leben in Verwirrung stürzen. Noch waren sie ahnungslos. Er seufzte.
Der Ball sprang in seine Richtung. Jondalrun hob ihn auf und warf ihn den Kindern zurück. Für einen Augenblick wünschte er, dass man alles vergessen, Fandora zu seinem geregelten Alltag zurückkehren könnte. Aber das war unmöglich. Jondalrun wandte sich ab; er konnte den Kindern nicht länger zuschauen und in jedem Gesicht Johan sehen. Langsam ging er zur Graywood-Schenke; dort wollte er sich mit Agron treffen.
Schweigend saß er in einer Nische, ohne etwas zu trinken. Nach einer Stunde betrat Agron die Schenke.
»Sie sind wieder da«, sagte er. Kurz darauf erschienen zwei mit Ruß und Asche verschmierte Männer. Sie trugen Schriftrollen, gebundene Bücher und Gegenstände, die Jondalrun nicht kannte, alles aus den Ruinen von Amsels Haus.
»Bier für diese Männer!«, rief Agron und half den Männern, die Sachen an Jondalruns Tisch zu schaffen. Die drei blieben bei ihm und tranken Bier aus Steingutkrügen, während Jondalrun ihren Fund untersuchte. Er nahm ein langes schwarzes, vom Feuer verkohltes Rohr vorsichtig in die Hand. Er sah, dass es hohl war und an beiden Seiten eine Linse aus klarem Glas hatte. Er drehte es mehrmals hin und her und hielt es sich dann vor das Auge. Mit einem erschrockenen Ausruf ließ er es fallen, und der Tonzylinder zerbrach auf dem Boden.
»Was hast du gesehen?«, fragte Agron.
»Ich habe Meyan, den Wirt, und das Bierfaß, das er gerade anzapft, so nahe vor mir gesehen, als wären sie eine Handbreit entfernt!«, sagte Jondalrun. Er schauderte. »Amsel war ein Zauberer, da gibt es gar keinen Zweifel!«
Die beiden Männer blickten einander voller Unbehagen an; sie hatten diese Sachen meilenweit getragen.
Jondalrun nahm eine der Schriftrollen auf – auch sie war angekohlt und brüchig. Mit äußerster Vorsicht entrollte er einen Teil. Jondalrun konnte recht gut lesen, nicht aber die feine Handschrift auf diesem Pergament entziffern, obwohl sie ihm auf beunruhigende Weise vertraut schien. Agron sagte: »Es scheint rückwärts geschrieben zu sein. Halte es vor einen Spiegel.«
»Nicht nötig«, sagte Jondalrun mit Befriedigung. »Die Tatsache, dass er seine Aufzeichnungen in einer Geheimschrift gemacht hat, beweist genug. Ich hatte recht – Amsel war ein Spion.« Er öffnete eine weitere Schriftrolle. »Hier ist der endgültige Beweis!« Er zeigte ihnen eine detaillierte Karte von der Küste Simbalas. »Diese Karte wird uns helfen, unsere Invasion vorzubereiten. Es ist nur recht und billig, wenn der Mörder meines Sohnes uns hilft, sein eigenes Volk zu vernichten.« Er wandte sich an die Männer: »Habt ihr einen Beweis für seinen
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