Drachenland: Roman (German Edition)
durch einen Wald zu reiten.
Willen hatte Tweel, seinen Landsmann aus Nordwelden, an der verabredeten Stelle getroffen, genau bei Sonnenuntergang. Willen erwähnte seine Begegnung mit Evirae nicht, obwohl ihre Worte ihm ständig durch den Kopf gingen, und ging auch sonst auf keine Fragen ein. Die beiden ritten eine Zeit lang in unbehaglichem Schweigen, bis die Sonne ganz untergegangen war und Dunkelheit sich über den Wald senkte.
Der Nebel wurde dichter; er legte sich über den Boden und umhüllte die Bäume. Nach einer Weile zog Willen wie zur Entschuldigung die Zügel an und sagte: »Es gibt viel Neues zu berichten, aber das meiste muss warten, bis wir wieder in Nordwelden sind. Die ganze Angelegenheit umfasst viel mehr, als wir uns vorgestellt hatten. Viel mehr.«
»In dem Fall«, sagte Tweel, »reiten wir besser die Nacht durch. Wir sind jetzt nahe am Meer – ich höre die Brecher und kann die Salzluft riechen. Wenn wir stetig nach Norden reiten, sind wir im Morgengrauen in Nordwelden.«
Sie trieben die Pferde an und ritten dann in einem leichten Galopp weiter, den die Pferde die ganze Nacht durchhalten konnten. Sie waren jedoch noch nicht weit gekommen, als Willen über dem gleichmäßigen Schlagen der Hufe ein seltsames Geräusch hörte. Zuerst hielt er es für Einbildung. Dann dachte er, es sei der Wind. Es wurde lauter, durchdringender, ein hohes, klagendes Geräusch. Er sah sich nach allen Seiten um. Die Bäume ragten wie zugreifende Riesenfinger in den Nebel. Schlingpflanzen schienen sich zu drehen und zu winden wie große Vipern, die sich durch die Bäume schlängelten. Dann schien plötzlich die Luft vor seinem Gesicht zu explodieren, und ein Kreischen ertönte in seinen Ohren. Sein Pferd scheute, und Willen hatte Glück, dass er nicht in den Büschen landete. Er klammerte sich verbissen fest und brachte es endlich fertig, das in Panik geratene Tier wieder unter Kontrolle zu bringen. Er sah, dass Tweel ähnliche Schwierigkeiten hatte. Dann sah er gegen die Sterne etwas Dunkles herabstürzen. Zuerst hielt er es für eine riesige Fledermaus, bis er erkannte, dass es ein Falke war, der mit ausgestreckten Krallen um die Köpfe der Pferde kreiste.
Gleichzeitig erblickte er einen Reiter, der plötzlich aus dem Unterholz auftauchte. Willen hielt den Atem an – ein Bandit vielleich? Da fiel der Mondschein auf das Gesicht des Fremden, und Willen erkannte betroffen den König von Simbala.
Der Falke flog zurück, um über dem Kopf des sich nähernden Reiters zu kreisen. Willen warf einen Blick auf Tweel; sein Gefährte war so bleich wie der Nebel, als Falkenwind die Zügel anzog und Willen anblickte. »Ich habe dir erlaubt, direkt zurück nach Nordwelden zu reiten. Es gibt einen guten Grund, nehme ich an, warum ich dich nicht zurück in das Gefängnis von Oberwald schaffen lassen sollte.«
Willen sah Falkenwind an. Es ging eine so starke Autorität von dem Monarchen aus, dass Willen beinahe gestand, was ihn aufgehalten hatte, doch erinnerte er sich noch rechtzeitig an das Versprechen, das er Prinzessin Evirae gegeben hatte.
Er war sich ganz und gar nicht sicher, wem in dieser fremden Welt politischer Intrigen zu trauen war, aber er war ein Mann, der zu seinem Wort stand.
»Ich hatte noch eine persönliche Angelegenheit zu erledigen«, sagte er mit erstaunlich fester Stimme.
Während Lathan dazukam und sofort die Spannung der Situation wahrnahm, musterte Falkenwind Willen; Willen schluckte, erwiderte den Blick aber standhaft. Tweel schwieg. Er wusste nur zu genau, dass Falkenwind das Recht hatte, sie beide ins Gefängnis zu schicken.
»Ich frage dich zum zweiten Mal«, sagte Falkenwind. »Warum hast du dich im Wald aufgehalten?«
»Wie ich schon sagte, es war eine persönliche Angelegenheit.« Dann fügte er etwas lahm hinzu: »Außerdem wurde ich von königlichen Wachsoldaten aufgehalten und musste sie erst überzeugen, dass Ihr mir freies Geleit zugesichert hattet. Und dann bin ich im Wald vom Weg abgekommen und hatte Mühe, meinen Gefährten zu finden.«
»Ein Mann aus Nordwelden sollte sich im Wald verirren?«
»Trotzdem ist das meine Antwort«, sagte Willen.
Für einen Augenblick war die Szene wie erstarrt; Falkenwind starrte auf Willen hinunter, sein schwarzes Pferd schnaubte unruhig und zerstampfte mit den Hufen den Bodennebel zu winzigen Dunstfetzen. Der Mond drang langsam durch die dunklen Silhouetten der Baumwipfel im Osten. Endlich sprach Falkenwind. »Also gut. Ich werde dich nicht zum
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