Drachenland: Roman (German Edition)
Falkenwind: »Was führt euch hierher?«
Thalen antwortete langsam, als bereiteten die Worte ihm Schmerzen: »Eine Flotte aus Fandora wurde vor Kurzem gesichtet. Inzwischen ist sie an unserer Küste gelandet.«
Falkenwinds Gesicht zeigte Entsetzen. »Wie viele Schiffe?«
»Im Bericht steht über zweihundert.«
Die Worte trafen Ceria wie Steine. Sie sah Falkenwind mit General Vora sprechen. Dann breitete sich eine Welle des Schweigens aus – und wie eine wütende Flutwelle kam die Verdammung zurück:
»Er hat uns belogen! Wir sind nicht vorbereitet auf einen Krieg.«
Mesor hatte den Tunnel schon verlassen, als er die Nachricht erfuhr. Er musste unbedingt Evirae Bescheid sagen, aber erst musste er sie finden! Er entdeckte Tolchin und Alora in der Menge und versuchte, zu ihnen vorzudringen. Obwohl sich der Baron bei Mesors Anblick rasch abwandte, gelang es dem Kämmerer, sie zu erreichen. Ganz außer Atem beschwor er sie: »Ich … ich weiß, dass Evirae etwas zugestoßen ist. Wir müssen sie suchen.«
Tolchin sah, dass er wirklich verstört war. Der Speichellecker kann sich das Verschwinden seiner einzigen Gönnerin nicht leisten, dachte er.
»Sie würde niemals einer Senatsversammlung fernbleiben«, sagte Mesor eindringlich. »Und Prinz Kiorte auch nicht. Ich fürchte, Falkenwind hat etwas gegen Evirae unternommen.«
Tolchin runzelte die Stirn, und selbst Alora war jetzt aufgebracht. Mesors Argumente waren nicht von der Hand zu weisen.
Das Paar machte sich auf zu Eviraes Schloss und ließ Mesor wie einen geprügelten Hund hinterherlaufen.
22
»Vorwärts!« Zweihundert Mann standen bereits auf dem nebelverhangenen Ufer, aber erst einige Boote lagen auf dem Strand. Die See war verhältnismäßig ruhig; dennoch waren in den Brechern bei der Landung mehrere Schiffe zusammengestoßen und gekentert. Nun schwamm ein Teil der Armee zum Ufer – oder versuchte es zumindest.
Schreie der Verwirrung und der Furcht erfüllten die Seeluft. Viele Männer hatten sich vor Erschöpfung auf den kalten Sand fallen lassen, andere wateten unter Anweisung der Ältesten im seichten Wasser, um die Boote an Tauen an Land zu ziehen.
Dayon stand im kalten Salzwasser und starrte auf die restlichen Boote weiter draußen. »Ich habe sie durchgebracht«, murmelte er glücklich vor sich hin. Sein Vater hörte ihn und legte eine Hand auf Dayons Schulter. »Das hast du«, sagte er. »Ich verstehe nichts von der See, aber das war Meisterarbeit! Ich bin stolz auf dich.«
Jondalrun kehrte zu den Booten zurück. »Und zieht!«, brüllte er den anderen zu, als hätte er sein ganzes Leben an den Ufern von Kap Bage verbracht. »Da draußen sind noch Kranke und Verletzte! Wir müssen sie ans Ufer schaffen!«
Dayon ergriff auch ein Tau. Tenniel stellte sich hinter ihn, stemmte die Füße fest in den Sand, und sie zogen gemeinsam. Ein kleines Boot schoss durch die Brecher, bis es auf dem Strand lag.
»Das hätten wir!«, brummte Tenniel. »Weiter, Dayon!«
Die beiden jungen Männer wateten durch die Tide und hielten Ausschau nach weiteren Booten, die Hilfe brauchten, als ein alter Lastkahn aus dem Nebel auftauchte. Dayon erkannte das Schiff; er hatte geholfen, es zu reparieren.
»Merkwürdig«, sagte Tenniel, als sie näher herankamen. »Es sieht verlassen aus.«
»Es ist leck«, sagte Dayon. »Sieh dir das Heck an; es liegt viel zu tief.«
Sie wateten hinaus und zogen sich an Bord. Auf den ersten Blick schien das breite Deck leer zu sein; nur Taue und Geräte lagen wirr durcheinander. Ein Fass Limonen rollte langsam mit dem Wellengang hin und her. Das monotone Geräusch machte das Fehlen menschlicher Stimmen erst richtig deutlich. Als über ihnen eine Möwe schrie, zuckten die beiden Männer zusammen.
Tenniel berührte Dayons Arm. »Sieh doch«, sagte er. Dayon drehte sich um und sah auf der Leeseite des Schiffes einen alten Mann – er schien zu schlafen, zusammengerollt wie ein Ball. Dayon ging auf ihn zu und sagte freundlich: »Wach auf, alter Kumpel. Wir haben die Überfahrt hinter uns. Wo ist deine Mannschaft?«
Der alte Mann bewegte sich nicht. Dayon stupste ihn an und zog ihn dann hoch. Seine Augen waren geöffnet und starrten ins Leere, sein Gesicht war bleich, sein Mund schlaff. Dayon spürte plötzlich die kalte Seeluft.
»Was fehlt ihm?«, fragte Tenniel.
»Schock.« Dayon blickte sich auf dem Deck um. Konnte die Überfahrt allein einen Schock verursacht haben?
»Das gefällt mir nicht«, sagte Tenniel. »Dieses
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