Drachenland: Roman (German Edition)
herunter. Evirae stand mit weit geöffneten Augen davor, die Hände an die Wangen gepresst.
»Wo ist dein Fandoraner, Evirae?«, fragte Kiorte. Er sagte es nicht spöttisch, denn offensichtlich war jemand hier gewesen.
»Genau hier, in diese Zelle eingeschlossen, und auf dem Stuhl dort saß ein Wächter.«
»Er muss ziemlich kräftig sein, wenn er die Tür auf diese Weise aufsprengen konnte«, sagte Kiorte und untersuchte den zerstörten Pfosten.
Evirae stotterte: »Er war nur halb so groß wie du! Es ist völlig ausgeschlossen, dass er dies hier getan hat!«
Kiorte musterte sie prüfend. Sie war sehr blass und offenkundig verstört.
Er hielt seine Fackel dicht über den Boden des Tunnels und blickte in beide Richtungen.
»Dort«, sagte er, »und dort auch. Kleine Fußspuren und da die größeren des Wächters. Komm, Evirae.«
Sie folgten den Spuren. Sie führten anscheinend wahllos in Abzweigungen und Seitentunnel, bis Evirae schließlich gestand, dass sie nicht mehr genau wusste, wo sie waren.
»Wir gehen lieber zurück und holen Unterstützung«, sagte Kiorte. »Der Senat wird bald zusammentreffen, und wir dürfen nicht zu spät kommen.« Er begann zurückzugehen, aber Evirae hielt ihn zurück. »Nur noch ein paar Meter«, sagte sie und versuchte, ihm die Fackel aus der Hand zu nehmen. Kiorte hielt sie jedoch fest, und so ging Evirae ohne Fackel ein paar Schritte weiter und spähte den Tunnel hinunter.
»Kiorte!«, rief sie. »Sieh nur! Ich glaube, ich sehe den Wächter – im Tunnel muss ein Einsturz gewesen sein.«
Zusammen eilten sie den Tunnel hinunter. Der Wächter war halb von Schlamm begraben und schien bewusstlos. Kiorte tauchte ein Taschentuch in das schlammige Wasser und massierte ihm Handgelenke und Nacken.
Nach wenigen Augenblicken kam der Wächter zu sich, Kiorte befreite seine Beine vom Schlamm und zog ihn heraus, als es über ihnen drohend polterte und Schlamm heruntersickerte. Der Wächter blickte Evirae an. »Ich bitte um Vergebung, Eure Hoheit – der Gefangene ist mir entkommen.« Mit rauer Stimme erklärte er, wie es geschehen war.
»Der Spion sitzt ohne Zweifel auf der anderen Seite dieses Geröllhügels in der Falle«, sagte Evirae. »Steh nicht da und glotz! Fang an zu graben, wir müssen ihn finden!«
»Es besteht immer noch Gefahr«, sagte der Wächter und blickte besorgt nach oben. »Vielleicht sollten wir lieber gehen …«
»Was maßt du dir an!« Elvirae brauchte einen Sündenbock für ihren Zorn. »Wir müssen ihn finden!«
»Der Wächter hat recht«, sagte Kiorte. »Die Gefahr ist zu groß. Wir müssen sofort hier weg.«
»Keiner von euch versteht, wie wichtig das Ganze ist!«, rief Evirae. »Wir haben nicht genug Zeit!« Sie beugte sich hinunter und zerrte an einer dicken weißen Wurzel. Dadurch geriet ein Felsblock aus seiner Lage und machte heruntersickerndem Schlamm den Weg frei, der sehr schnell zu einer Lawine anschwoll. Die drei hatten kaum Zeit, auszuweichen, bevor ein weiterer Abschnitt der Tunneldecke einstürzte.
21
An diesem Morgen ging die Sonne ohne den Schatten einer Wolke auf, aber am westlichen Himmel häuften sich schon zornige Sturmwolken. Am Eingang zur Höhle der Wasserfälle versammelten sich die Vertreter der simbalesischen Familien und verschiedener Handelsgruppen, alle in Festtagskleidung. Alle sprachen über die Möglichkeit einer Invasion aus Fandora.
Erschienen waren auch bekannte Mitglieder der königlichen Familie, unter ihnen General Jibron und Lady Eselle, Baron Tolchin und Baronesse Alora, einige Minister des Kreises und König Ephrion, der sich entschieden für Falkenwind einsetzte.
Auch Mesor war anwesend; er wartete schweigend und voller Unruhe auf die Prinzessin; es war nicht ihre Art, zu einer so wichtigen Konfrontation zu spät zu erscheinen. Obwohl sie kein Stimmrecht hatte, würde ihre bloße Anwesenheit die öffentliche Meinung beeinflussen. Doch bald war es zu spät. Gleich würden alle in die unterirdische Wahlkammer gehen. Mesor blickte suchend über die Menge, sah aber statt Evirae Falkenwind auftauchen, der sich vom Palast her rasch näherte. Ceria begleitete ihn.
»Es gibt Augenblicke, wo ich lieber einem Grubeneinsturz gegenüberstehen würde als einer öffentlichen Versammlung«, sagte Falkenwind leise.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, erwiderte Ceria. »Du hast dich in bewundernswerter Weise gegen Eviraes Beschuldigungen verteidigt. Die Bergleute stehen hinter dir, mein Liebster, ebenso wie
Weitere Kostenlose Bücher