Drachenland: Roman (German Edition)
auch so einen Mantel?«
»Natürlich tut sie das«, sagte der Junge mit dem Speer. »Das weiß doch jeder. Jedenfalls jeder, der sie mag. Woher kommst du überhaupt? Du sprichst so komisch.«
»Ich … ich bin nicht aus dieser Gegend.« Amsel hatte sich trocken gerieben, so gut er konnte, und hängte den Mantel zum Trocknen sorgfältig über einen Strauch. »Vielen Dank«, sagte er zu dem Mädchen.
»Ist dein Vater ein Bergmann?«, fragte der Junge. »Ich hab dich noch nie in Oberwald gesehen. Wo wohnst du?«
Sie halten mich für ein Kind, weil ich so klein bin, dachte Amsel. Klein zu sein kann auch Vorteile haben. Er blickte sich um. Er stand am Rand eines mit Steinplatten belegten Weges, der sich durch einen Bogen aus blühenden Sträuchern wand. Auf der anderen Seite des Bogens lag ein kleiner Park, und mehrere Stufen führten zu einer Art Säulengang. Amsel wusste, dass er vorsichtig sein musste; man durfte ihn nicht als Fandoraner erkennen. Es war sehr ruhig und angenehm hier. Vielleicht war noch genug Zeit, Falkenwind zu finden, bevor die Feindseligkeiten begannen. Wer wohl die Frau war, die Lady Ceria genannt wurde?
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte der Junge. »Wie alt bist du überhaupt? Du musst mindestens sechs sein, wenn du mit uns spielen willst.«
»Er sieht älter als sechs aus«, sagte das kleine Mädchen.
»Das bin ich auch«, stimmte Amsel ihr zu. Dann fragte er schnell: »Wer ist Lady Ceria?«
»Weißt du denn gar nichts?«, fragte der Junge. »Alle sprechen von ihr. Sie ist in Falkenwind verliebt.«
»König Falkenwind? Weißt du viel über ihn?«
»Er wird die Fandoraner besiegen«, sagte der Junge stolz.
»Die Fandoraner?« Amsel setzte sich auf eine der Stufen. Ihm war nach Weinen zumute, aber stattdessen flüsterte er: »Johan, ich darf die Hoffnung nicht aufgeben!«
Das Mädchen hatte ihn gehört. »Johan?«, fragte sie. »Wohnt er hier in der Nähe?«
Amsel schüttelte den Kopf. »Er war ein Freund von mir, weit weg von hier.«
Als der Junge das hörte, sah er beunruhigt aus. »Wo wohnst du?«, fragte er wieder, diesmal aber misstrauisch.
Es war still in dem Zimmer, nur Falkenwinds Schritte waren zu hören. Er trug nicht mehr die gewohnten blauen Gewänder des Monarchen. Ein Kettenhemd bedeckte seine Brust, und seine Arme steckten in den schweren kupferplattenbedeckten Ärmeln der simbalesischen Fußtruppen. Sein Haar war offen nach hinten gekämmt, nicht länger von Diadem und Rubin gehalten.
Er setzte sich an Cerias Bett. Sie schlief, ruhte sich noch aus von der Vision, durch die sie vor nicht allzu langer Zeit bewusstlos geworden war. Falkenwind berührte sie zärtlich. »Meine Liebste«, flüsterte er, »ich werde zurückkehren, bevor du aus deinen Träumen erwachst. Es wird kein Blutvergießen geben, die Fandoraner werden erkennen, wie töricht es ist, Krieg zu führen.«
Sie lag still da; seine Worte drangen nicht in ihr Bewusstsein. Er küsste sie sanft auf die Wange. »Träume vom Frieden«, sagte er leise.
Dann verließ er Ceria, um sich zusammen mit General Vora auf den Ritt zum Waldrand zu begeben.
Der Frostdrache kehrte zur Spitze des Gipfels zurück und berichtete dem Düsterling, was er gesehen hatte. Die Wächterin hatte recht gehabt. Er hatte ein warmes Tal im Land der Menschen überquert, und dort hatte er Menschen fliegen sehen. Dann war er zum Gipfel im Land der Menschen geflogen, zu dem höchsten Baum in ihrem Wald, und hatte dort ganz aus der Nähe noch eine von diesen Bestien gesehen, in denen die Menschen flogen.
Der Düsterling stieß einen schrillen Schrei aus: Er begriff, dass die Menschen diese fliegenden Ungeheuer selbst herstellten. Sie waren erschreckend geschickt, und sie waren mit Sicherheit Feinde der Frostdrachen. Der Düsterling hielt seinen Zorn zurück, rief einen zweiten Frostdrachen zu sich und teilte ihm in ihrer zischenden Sprache mit, dass er ein menschliches Wesen aus nächster Nähe zu sehen wünsche, zusammen mit einem der fliegenden Schiffe. Er musste genau wissen, wie gefährlich sie waren. Sie waren zwar klein, aber die Wächterin hatte gesagt, dass es sehr viele von ihnen gab, und die Kälte hatte die Frostdrachen geschwächt.
Der Abgesandte kehrte in seine Höhle zurück, um sich für den langen, kalten Flug über das Meer vorzubereiten. Der Düsterling aber verharrte auf der äußersten Spitze des Gipfels. In gewisser Weise begrüßte er die Kälte und die Beschwerden, die damit einhergingen. Es schien
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