Drachenlanze - Der Bund der ...
des Raumes lag ein großer Haufen Körper, die
wie Feuerholz übereinander gestapelt waren. Einige waren am
Stück hingeworfen worden und wirkten wie lebendig, wie
mitten im Tun eingefroren. Andere waren nur noch Skelette. Es
waren Dutzende, vielleicht über hundert Leichen mit weißen,
verrotteten Schädeln und zerrissenen Kleidern. Überall lagen
Eingeweide herum, und durch die Öffnungen schössen die
Ratten.
Kitiara hielt erschrocken die Luft an und schlug eine Hand
vor den Mund, während Colo bei diesem Anblick unwillkürlich
näher an sie heranrückte.
»Was?« Kit fröstelte.
»Atme ganz flach«, wies Colo sie streng an. Sie legte Kit
beruhigend eine Hand auf die Schulter.
Sie traten näher heran, um den schauerlichen Totenhaufen
besser betrachten zu können, denn sie mußten sich davon
überzeugen, daß Ursa nicht unter den Toten war. Plötzlich
sprang eine geisterhafte Gestalt aus der Mitte des Stapels auf.
Der bleiche, höhnisch grinsende Mann war nur noch Haut und
Knochen, hatte dünnes weißes Haar und einen Ziegenbart und
trug verfaulte, flatternde Lumpen.
Colo und Kit wichen sofort mit erhobenen Waffen
auseinander. Doch ansonsten bewegte sich nichts im Raum,
und der alte Kauz schien eher verrückt zu sein als gefährlich.
Er sprang von einem Bein aufs andere, während er mit sich
selbst redete. In der Hand hielt er einen Eisenring mit rostigen
Schlüsseln.
»Sie ist gekommen! Ich bin frei! Welche ist es? Vielleicht
sehe ich doppelt. Nach all der Zeit bin ich frei!« babbelte der
Alte.
»Bleib stehen«, befahl Colo. »Was sagst du da, Großvater?«
»Hier! Hier!« Der Mann hielt ihnen den Schlüsselring hin.
Kit streckte zögernd die Hand aus und nahm den Ring. Das
Metall war mit verkrustetem Schleim überzogen.
»Ich glaube, er ist nicht ganz bei Trost«, sagte Kit
schneidend, während sie sich immer noch wachsam umsah.
»Wer bist du, alter Mann? Was geht hier vor?« fragte Colo
wieder. Sie steckte ihr Schwert ein und schob das Messer in
den Gürtel, um den Irren damit zu beruhigen. Der Alte war
näher an Kit und Colo herangehüpft und tapste nun um sie
herum, wobei er fröhlich mit sich selber redete. Seine langen,
weißen Haare schimmerten wie Spinnweben. Immer wieder
zeigte er in verschiedene Richtungen.
»Die große Herrin, sie hat gesagt, ich kann gehen, wenn ihr
kommt. Ich war treu. Der letzte der Treuen bin ich. Seit vielen
Jahren. Nur ich bin noch übrig. Außer», er biß sich auf die
Zunge und rollte die Augen, »außer der Eisernen Garde. Ich
vergesse Euch nicht, meine Herren. Ich grüße Euch.«
Krampfhaft nickte er mit dem Kopf.
»Nehmt schon«, sagte er mit einer Geste zu den Schlüsseln.
»Sind eure. Ich gehe! Sie hat es versprochen.« Er winkte kurz
und lief los.
»Warte!« schrie Kit wild, griff nach seinem Arm und
fuchtelte drohend mit ihrem Dolch. »Wo ist die Herrin, von der
du gesprochen hast?«
Er drehte sich um, sah sie an und streichelte seinen Spitzbart.
»Es sind fünf Tunnels«, sagte der Alte nachdenklich. »Ihr
findet sie, wenn ihr den rechten nehmt, glaube ich. Welchen?
Ich rate nicht. Ich selbst«, er wirkte unruhig, »habe die große
Herrin jetzt schon viele Monate nicht mehr zu Gesicht
bekommen: Sie läßt mich in Ruhe. Das ist meine Belohnung.
Andere sind nicht so glücklich. Seid sehr vorsichtig.«
Er beugte sich vor und flüsterte verschwörerisch: »Aber die
Eiserne Garde habe ich gesehen. Die kommt und geht. Holt die
Besucher. Meine Aufgabe«, sagte er mit stolzem Kichern, »ist
es, mich um die Besucher zu kümmern. Nur«, er lockte Kit mit
einem dünnen gelben Finger, »zwei übrig. Ts, ts.«
Er legte den Finger an die Lippen. »Die große Herrin ist sehr
wütend«, fügte er wissend hinzu. »Pst«, sagte er ausweichend,
um Colos Fragen abzuwehren. »Ich riskiere mein Leben, wenn
ich euch das erzähle.«
Der Alte fuhr mit stolzgeschwellter Brust herum.
»Irgendwo oben im Turm und sehr wütend. Alle haben
versagt, alle untreu. Viel Töten.« Angewidert nickte er zu dem
Stapel Tote hin. »Ich nicht. Ich sehr zuverlässig. Ich hüte die
Schlüssel! Ich treu!« prahlte er.
»Wo lang?« wiederholte Colo am Ende ihrer Geduld.
Er strich sich über seinen Bart. »Ja. Das ist die Frage. Ich
hab’s immer gewußt« – er erschauerte – »früher, früher.« Er
drehte sich langsam herum, wobei er jeden Ausgang
nachdenklich anstarrte. Seine Augen waren verschwollen. »Ich
hab’s vergessen«, klagte er. »Welcher Weg führt nach
draußen?«
Colo wies mit dem
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