Drachenlanze - Die Erben der Stimme
worauf der
Zauberer hinaus wollte.
Miral richtete sich etwas auf und machte eine Geste mit der
linken Hand. Die verbundene Rechte lag auf der Armlehne des
Stuhls. »Ich habe nur Mutmaßungen darüber angestellt, ob der
Tylor in der Hitze des Gefechts vielleicht einen Spruch
gesprochen hat, den ich irgendwie unbewußt zurückgeworfen
habe, so daß er wieder das Tier traf.«
»Geht das?« Tanis’ Gesicht zeigte Zweifel.
Der Magier zuckte mit den Schultern und sackte wieder in
sich zusammen. »Ich weiß nicht. Ist nur eine Vermutung. Aber
wenn es so war – und ich weiß, das ist ein großes >Wenn< –,
könnte derselbe Ausbruch mächtiger Magie dann nicht auch
den Pfeil von seiner Bahn abgelenkt haben?«
Tanis schaute den Zauberer fragend an. »Du willst sagen…«
Miral holte tief Luft. »Daß das mit Lord Xenoth ein Unfall
war, für den du keinesfalls verantwortlich bist.« Er hielt inne,
um seine Gedanken zu ordnen. »Und daß du dich in Wahrheit
angesichts des sicheren Todes ehrenhaft und tapfer verhalten
hast, indem du Lord Xenoth retten wolltest.«
Flint stapfte zu Tanis’ Tisch und nahm sich eine Handvoll
kandierter Mandeln aus einer abgedeckten Holzschale. »Die
Stimme sagt, sie wird sich mit hochrangigen Zauberern
beraten, um herauszufinden, ob das eine mögliche Erklärung
ist«, fügte er hinzu. »Und damit bist du anscheinend entlastet.
Die Wachen von deiner Tür werden abgezogen.«
Als die Spannung endlich nachließ, wurde Tanis klar, daß er
in den letzten achtundvierzig Stunden nur vier Stunden Schlaf
bekommen hatte. Er gähnte ausgiebig, und Zwerg und Magier
grinsten.
»Junge, du siehst aus, als wärst du in zwei Tagen um zehn
Jahre gealtert«, sagte Flint, dem die Ringe unter seinen eigenen
geröteten Augen offenbar nicht bewußt waren.
»Das bin ich auch.«
Ohne weitere Worte verließen Zwerg und Elfenzauberer
daraufhin den Raum. Der eine machte sich zu seinem Laden
auf, der andere zu seinen Zimmern im Palast. Tanis ging zum
Schrank, um sich auszuziehen. Er hatte gerade sein Lederhemd
abgestreift, als er ein Klopfen an der Tür hörte. Da er glaubte,
es wäre Flint, ging er zur Tür und öffnete, ohne sich irgend
etwas überzuziehen.
Eine helle Stimme begrüßte ihn, und Laurana trat aus den
Schatten des Korridors in sein Zimmer. Sie schien zu zögern,
was ungewöhnlich für sie war, aber angesichts von Tanis’
leichter Bekleidung nicht überraschte. Nur eine einzige Lampe
auf dem Tisch und das Mondlicht, das dahinter durchs Fenster
fiel, erhellten das Zimmer. Das Lampenlicht ließ die
Metallstreifen in ihrem langen Silberkleid glitzern. »Tanis.«
Er sagte nichts. Tanis hoffte, daß dieses Gespräch nicht
lange dauern würde. Er war plötzlich so müde, daß er sich
kaum noch auf die Elfenprinzessin konzentrieren konnte.
»Ich…« Sie brach ab und setzte neu an. »Vater hat mir von
dem Gespräch zwischen dir und ihm heute morgen erzählt.«
Sie ging an ihm vorbei und stellte sich auf den dicken Teppich,
wo vor wenigen Augenblicken noch Flint gestanden hatte.
Tanis blieb kopfschüttelnd an der Tür stehen. Hatte er sich
wirklich erst heute morgen im Privatzimmer der Stimme mit
Solostaran im Turm getroffen? Wie dringend der Halbelf
seinen Schlaf brauchte. Er taumelte und hielt sich am
steinernen Türrahmen fest.
»Er hat gesagt, daß du mich nicht liebst«, fuhr Laurana fort.
»Zumindest nicht so, wie ich es gehofft habe.« Sie reckte das
Kinn in die Höhe, doch ihre Erregung zeigte sich in der Art,
wie sie die Spitze des Ärmels an ihrem Handgelenk glattstrich.
Dieses Gespräch mußte ihr schwerfallen, dachte Tanis
plötzlich. Er hoffte, er würde es so kurz und ehrlich wie
möglich durchstehen können. »Du bist meine Schwester«,
sagte er sanft.
»Das ist nicht wahr!« protestierte Laurana. »Nur weil wir im
gleichen Haus aufgewachsen sind, stimmt das noch lange nicht.
Ich kann dich lieben, und das tue ich.« Sie kam zu ihm und
ergriff mit ihren schlanken Fingern seine Hand.
Tanis stöhnte innerlich, doch er wußte, daß Laurana recht
hatte. Sie waren nur durch Heirat verwandt – und selbst diese
Verbindung war zweifelhaft. Ganz sicher war sie nicht wirklich
seine Schwester. Aber wollte er das überhaupt? Er schüttelte
den Kopf bei dem Gedanken an den goldenen Ring, der immer
noch unten in seiner Lederbörse lag.
»Laurana, versteh doch bitte«, sagte Tanis matt. »Ich liebe
dich wirklich. Aber ich liebe dich als – «
»- als Schwester?« brachte sie den Satz schneidend zu
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