Drachenlanze - Die Erben der Stimme
und Neid kämpften in ihm. Er fragte sich,
wer seine Eltern vertreten würde, wenn es Zeit für sein eigenes Kentommen war, oder ob sein Menschenblut ihm dieses Recht
nehmen würde.
Die Menge zog hinter der Stimme her, doch Tanis blieb, wo
er war. Dann ging er in die entgegengesetzte Richtung davon.
* * *
Flint fluchte, hielt sich die Schulter und wünschte sich,
dieser Türknauf von einem Halbelfen würde ihn finden,
während er dauernd gegen Elfen stieß. Er war höchstens halb
so groß wie sie und wurde wie ein Blatt im angeschwollenen
Fluß mitgerissen.
Irgendwann erblickte er durch die Leiber hindurch
jemanden, den er kannte. Er stand etwa dreißig Fuß entfernt in
einem Eingang. Flint stemmte die Füße auf und schrie:
»Miral!« Der Magier sah sich überrascht nach ihm um und
winkte den Zwerg zu sich herüber, doch Flint zuckte nur hilflos
mit den Schultern. Wäre er dazu fähig gewesen, sich durch eine
solche Masse zu kämpfen, wäre es ihm auch gelungen, bei
Tanis zu bleiben.
Dem großen Magier gelang es besser, das Elfenmeer zu
durchteilen, und bald erreichte der verhüllte Miral den Zwerg
und zog ihn in einen anderen Hauseingang. »Es ist leichter,
sich an etwas Festes zu halten, und die Menge um sich herum
fließen zu lassen«, sagte der Zauberer mit trockenem Lächeln.
Sie sahen schweigend zu, wie die Elfen als singende Flut in
Rot, Grün, Gelb und Blau vorbeiströmten.
»Was passiert jetzt?« fragte Flint.
Der Magier war überrascht. »Mit wem?« fragte er.
»Mit Porthios.« Flint zeigte auf die davonziehende
Prozession, von der nur noch die Federn der Wachen aus der
Masse herausragten. »Wenn er seine Wache im Hain beendet
hat.«
»Besuchst du Qualinesti seit zwei Jahrzehnten und weißt
noch nicht, wie das Kentommen abläuft?« fragte Miral
ungläubig.
Der Zwerg war beleidigt. »Ich habe kleine Feste gesehen,
aber nichts, was wirklich beachtenswert war.«
»Aha.« Der Magier nickte weise, trat aus dem Eingang und
schlug den Weg zu Flints Laden ein. »Also, nach dem Kalthata, das ist die dreitägige Wache, die heute beginnt,
führen drei Adlige Porthios aus dem Hain. Ihre Identität wird
hinter schwarzen Roben, Handschuhen und Masken verborgen
sein. Die Stimme wird nicht dabei sein, weil sie sich am Vortag
zum Meditieren und Beten zurückzieht.
Porthios trägt dann die graue Robe, ebenso wie Gilthanas,
der dann von seiner Nachtwache am Kentommenai-Kath zurückkehrt, wo er auf den Fluß der Hoffnung hinausblickt.«
Miral brach seinen Bericht ab. »Bist du da schon gewesen?«
Flint nickte.
»Die Leute aus der Stadt werden keinen der beiden Brüder
beachten«, sagte Miral. »Das gehört zu den Grundsätzen des Kentommen.«
»Ich weiß«, erwiderte Flint. »Ailea hat es mir gesagt. Wo
geht Porthios hin?«
Der Zauberer nahm den Faden wieder auf, wobei er einem
Kind auswich, das eine silbergraue Fahne schwenkte. »Die drei
Adligen führen ihn in einen Steinraum tief unter dem Palast. Es
ist ein dunkler Raum, und er muß sich in einen kleinen
Lichtkreis in der Mitte setzen.« Miral und Flint gingen an
einem glitzernden Quarzhaus in Eichenform vorbei und bogen
um eine Ecke.
»Die maskierten Adligen stehen im Dreieck um den jungen
Mann«, erzählte Miral. »Sie sind die Ulathi, die Zeugen, und
jeder trägt einen zeremoniellen Namen: Tolethra, der Ehrgeiz, Sestari, der Neid, und Kethyar, der Stolz. Jeder befragt den
jungen Mann gnadenlos, beschuldigt ihn des selbstsüchtigem
Ehrgeizes, des Neides auf wichtigere Andere und des dummen
Stolzes. Durch ihren Zorn, ihr Schelten, ihren Spott und ihre
Kritik prüfen sie die Stärke des Willens und die Reinheit der
Seele, die der junge Mann im Hain errungen hat.«
Flint stellte sich die Szene vor und erschauerte. Da zog er
seine Vollbarttage doch vor. »Wozu dieses Verhör – wie hieß
das doch gleich?«
»Dieser Teil vom Kentommen heißt das Melethka-Nara, der
>Schatten im Herzen<«, sagte Miral. »Wie der Name verrät,
geht es darum, zu sehen, ob noch ein Schatten über dem
Herzen des jungen Elfen liegt. Wenn ja, dann wird er sich
einschüchtern lassen, wütend werden oder über ihren Worten
verzweifeln. Wer schreit, weint oder auch nur zusammenzuckt,
hat bei diesem Test versagt. Wenn der junge Elf jedoch am
Ende des Verhörs immer noch ruhig und mit sich selbst im
reinen ist, dann nicken die Ulathi einfach, verlassen den Raum
und lassen die Tür offen.«
Plötzlich wußte der Zwerg, wo die Stimme jene
undurchdringliche Maske entwickelt hatte, die
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