Drachenlanze - Die Erben der Stimme
und maskierte Leute
gewöhnt. Sie sahen nur zu, als der Zwerg und ein übergroßer
Gossenzwerg auf die Brücke traten. Flint faßte Tanis am Arm –
natürlich nur, um den Halbelfen zu stützen.
Dann hörten sie plötzlich Hufgeklapper hinter sich, und ein
vertrautes Wiehern ertönte durch die Nachtluft. Flint fuhr
herum: »Windsbraut!«
Hinter ihm in der Dunkelheit, die den Anfang der Brücke
überdeckte, hielt eine der Wachen das Tier am Zügel fest.
»Flint«, rief die Wache, deren Stimme im Abgrund widerhallte,
»deine Freundin sucht dich.«
Flint war unsicher, was er tun sollte. Wenn er das Tier nach
Hause brachte, würde Tanis sich dem Mörder allein stellen
müssen. Wenn er es mitnahm, würde es sie durch sein
teuflisches Schreien verraten. Schließlich winkte er, und die
Wache ließ das Maultier los, das auf den Zwerg zuschoß.
Während er Windsbrauts zärtliches Schnuppern abwehrte,
zog Flint die Strickleiter heraus, die er immer noch
mitschleppte, und machte das Seil los, mit dem er die
Strickleiter von der Fensterkante gelöst hatte. Er knotete das
Seil an das Halfter des Maultiers und band das andere Ende an
eine Espe am
Westende der Brücke. Tanis versteckte die
Maske im Gebüsch. Als Flint und Tanis den Weg
hochkletterten, hallten Windsbrauts Schreie von den Felsen
wider.
Die Nacht war pechschwarz; am Himmel stand kein Mond.
Flint konnte den feuchten Geruch des Mooses riechen und
hörte Tanis neben sich schwer atmen. Der Tag, an dem sie am Kentommenai-Kath Rast gemacht hatten, schien Ewigkeiten
her zu sein. Damals hatten Xenoth und Ailea noch gelebt.
Zum Glück können Elfen – auch Halbelfen – im Dunkeln
relativ gut sehen, und Zwerge haben in den Generationen der
Arbeit in den schlecht beleuchteten, unterirdischen Minen gute
Augen entwickelt. Daher kam das Paar auf seinem Weg zum
Rand der Schlucht relativ gut voran.
»Wenn Gilthanas und seine Begleiter nicht gerannt sind,
müßten wir sie bald einholen«, flüsterte Tanis einmal, als sie
auf einem Stück Wiese Pause machten. Flint wandte den Blick
von dem steilen Abgrund rechts neben sich ab und nickte
zustimmend. Sie marschierten weiter.
Der Pfad begann sich nach oben zu schlängeln. Hier und da
sah Flint verkrüppelte Bäume und Granitbrocken. Sie
erreichten eine Gabelung. Der Weg wurde steiler, und bald
kamen Tanis und der Zwerg ins Keuchen.
Da hörten sie vor sich Schritte und duckten sich hinter einen
Felsen. Flint spähte um die Ecke, als zwei Gestalten auf dem
Rückweg nach Qualinost vorbeikamen. »Gilthanas’ Eskorte«,
flüsterte Tanis, als sie außer Hörweite waren. Zwerg und
Halbelf strengten sich noch mehr an, denn jetzt war Gilthanas
ohne Schutz.
Schließlich wurden die Bäume lichter, und der Boden war
von mehr Granitbrocken bedeckt. Flint wußte, daß die
Felsenklippe nah war.
»Horch!« flüsterte Tanis.
In der Ferne ertönte ein klarer Tenor. Die Worte des Liedes
waren fast so alt wie die Felsen zu beiden Seiten des Weges.
»Gilthanas’ Wachlied«, erklärte der Halbelf »Er bittet die
Geister der Bäume und der Erbe, Porthios zu beschützen und
ihn alle Tage zu leiten. Darum muß Gilthanas für seine Wache
unbewaffnet sein. Das zeigt den Waldgeistern, daß er ihnen
vertraut.«
Das Echo des Lieds kam aus der Schlucht zurück und ließ
den Zwerg erschauern.
»Mein Vollbarttag war nichts dagegen«, hauchte er. »Und
Reorx sei Dank dafür.«
Sie gingen“ weiter, waren jetzt jedoch vorsichtiger, weil sie
sich dem Kentommenai-Kath näherten. Denn sie wollten ja
nicht nur, daß Gilthanas sie nicht sah, sondern sie waren noch
weniger darauf aus, sich dem Mörder zu zeigen, der hinter
jedem Felsen oder Baum lauern konnte. Flint merkte, daß sich
seine Nackenhaare sträubten, und legte zur Sicherheit eine
Hand auf den Hammer, der in seinem Gürtel steckte.
Schließlich erreichten sie den Kentommenai-Kath. Flint faßte
den Halbelfen an der Schulter, und die beiden warteten,
während Gilthanas an den Granitplatten hin und her ging, die
den Rand anzeigten. Tanis zeigte mit der Hand nach rechts,
und Flint nickte. Vorsichtig umrundeten die beiden den Platz,
wobei sie hinter den Felsen Deckung suchen und vielleicht
zweihundert Meter um die Klippe herumkrochen, wo Gilthanas
immer noch stand und sang. Sie kamen am letzten Baum
vorbei und traten kurz ins Freie, um sich dann schnell hinter
einer umgekippte Granitplatte zu ducken.
Flint spähte um die Platte. Gilthanas stand in seiner
einfachen grauen Robe mit hochgezogener Kapuze am
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