Drachenlanze - Ungleiche Freunde
entscheiden.
Alle Zuschauer bis auf Lord Xenoth waren reingelaufen, um
sich trockene Kleider und Glühwein zu holen. Xenoth jedoch
hing bei der Tür herum. Möglicherweise interessierte ihn der
scharfe Tonfall ihrer Stimmen. Mit seinem widerspenstigen,
weißen Haar, den geschürzten Lippen und der Silberrobe
wirkte der alte Berater, wenn er so die Hände vor der Brust
faltete, wie eine alte Angorakatze, der schon ein paar Zähne
fehlen, die aber immer noch neugierig ist.
Schön, dachte Tanis. Du willst der Stimme etwas erzählen?
Das sollte reichen.
Und er schlug Porthios ins Gesicht.
Eine Sekunde später lag der Erbe der Stimme lang auf dem
Rücken im Matsch. Auf Porthios Gesicht erschien ein
verblüffter und entsetzter Ausdruck, der unter anderen
Umständen komisch gewesen wäre. Der Regen wusch die
Farben seiner langen Seidentunika aus, so daß kleine gelbe,
grüne und blaue Bäche über die Arme des Elfenlords rannen.
Er sah aus, als wäre er wirklich gelb vor Überraschung, und
Tanis fing schallend an zu lachen.
... und fand sich selbst an einem kleinen Pfirsichbaum
wieder. Es war, als hätte man ihn kopfüber in ein gewaltiges
Stachelschwein aus dem Düsterwald geworfen. Die Zweige
zerkratzten ihm das Gesicht, er hörte kleine Äste brechen und
fühlte, wie Früchte auf ihn plumpsten, weil er sie losschlug.
Der Geruch zermanschter Pfirsiche stieg ihm in die Nase.
Der Kampf hatte begonnen. Porthios verteidigte sich nur,
während Tanis die reine Wut vorantrieb. Der ältere, schnellere
Porthios konnte Tanis austricksen. Aber das Menschenblut des
Halbelfen verlieh Tanis eine Kraft, die dem schlanken
Elfenlord fehlte. Obwohl Porthios den Halbelfen anfangs im
Griff hatte, merkte Tanis daher bald, daß sich das Kampfglück
ihm zuwandte.
»Kinder! Kinder!« Die neue Stimme durchdrang den Nebel
der Wut, der Tanis' Gehirn durchzog. Das kochende Blut in
Tanis' Ohren beruhigte sich einen Moment lang, und der
Halbelf sah hinüber zu Lord Xenoth. Der alte Ratgeber hüpfte
hysterisch zwischen Porthios und Tanis herum. Keiner der drei
achtete mehr auf den Regen, der sie weiterhin durchnäßte.
Porthios' Tunika hatte eine häßliche, grünlichgelbe Farbe
angenommen und war vorne vom Schlüsselbein bis zum Bauch
aufgerissen. Aus dem Mund des Elfenlords lief etwas Blut, und
ein Auge begann zu schwellen. Xenoths Mantel war mit
Matsch bespritzt. Tanis sah an seinen eigenen Kleidern
hinunter. Ein matschverklumpter Mokassin lag an der einen
Bank, die helle Farbe seiner Hose war unter einem Mantel aus
Schlamm verschwunden, und der Bogen - die Waffe, mit der
das alles angefangen hatte - lag zerbrochen zu seinen Füßen.
Trotz der Blutflecken auf seinem Hemd hatte er jedoch
offenbar nur kleinere Beulen und Kratzer davongetragen.
Dann stockte Tanis der Atem. Auf dem Granitweg entdeckte
er Flints Spielzeug. Es war zerbrochen.
Während der keuchende Ratgeber Porthios in den Palast half
- wobei er kreischte: »Du wirst noch davon hören, Halbelf!« -,
fiel Tanis auf die Knie und sammelte zärtlich die Einzelteile
des Spielzeugs auf. Ein Fisch war heil geblieben, aber die
dünne Kette, die ihn an dem Querbalken befestigt hatte, war
gerissen. Der Querbalken selbst fehlte. Und der Ständer - die
Nachbildung eines steinigen Flußbetts - war mitten
entzweigebrochen. Er sammelte die Stücke zusammen, fand
dann noch den Querbalken in einer Pfütze fünf Schritte weiter
und wickelte alles in den Vorderzipfel seines Hemds.
Tanis sah auf. Die Tür war hinter Xenoth und Porthios
zugefallen, und er stand allein in dem grauen Hof.
Es schüttete immer noch vom Himmel.
Die Stimme der Sonne marschierte eilig den Korridor
entlang, wobei sich der waldgrüne Mantel wie eine bizarre
Sturmwolke hinter Solostaran aufblähte und der goldene Saum
wie ein Blitz zuckte. Doch es war das Funkeln seiner Augen,
bei dem die erschrockenen Diener und Höflinge rasch
auswichen, wenn er auf seinem Weg zu den Gemächern der
Familie im Palast an ihnen vorbeikam. Alle wußten aus
Erfahrung, daß einiges dazu gehörte, die Stimme wütend zu
machen, aber Gnade den Unglückseligen, die ihm im Weg
standen, wenn er wirklich einmal zornig war.
»Tanis!« rief er streng, als er die Tür zum Schlafzimmer des
Halbelfen aufstieß. »Tanthalas!«
Das Zimmer wurde nicht von einer Lampe erleuchtet, doch
im roten Licht von Lunitari, das durch ein Fenster
hereinströmte, sah er, wie sich eine Gestalt auf dem Bett regte.
»Tanthalas«, wiederholte Solostaran.
Die Gestalt setzte sich auf.
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