Drachenlanze - Ungleiche Freunde
schimpfte Flint. »Oder irre ich mich da etwa?«
Tanis verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, dem
Zwerg zu versichern, daß Flint wirklich derjenige war, der
Erfahrung mit Wegen hatte, daß Flint derjenige war, der den
Wald wie seine Westentasche kannte, und, doch, daß er
derjenige war, der beim Aufstieg genug auf praktische Dinge
geachtet hatte, um die Abkürzung zu sehen. Außerdem hatte er
gestern praktisch unbewaffnet einen wütenden Tylor
abgewehrt. Und so brachen sie auf dem schmalen Fußweg
durchs Unterholz, der sie in den regennassen Wald führte.
Sie drangen immer tiefer in den Wald ein, hielten ängstlich
Ausschau nach dem Tylor und wurden jeden Moment nasser.
Zwei Stunden später, als der Regen noch immer vom
Himmel strömte, trafen sie auf eine Gruppe Tylorjäger und
begleiteten die erfolglose Jagdpartie nach Hause. Aber als sie
die ersten Häuser von Qualinost erreichten, hustete Flint, und
als Tanis seinen Freund aus der triefenden Tunika, den Hosen
und den Stiefeln pellte, fieberte er bereits. Tanis wickelte ihn in
eine Decke, drückte ihn auf einen Stuhl und schürte die Esse,
damit es wärmer wurde.
Jetzt, am späten Nachmittag, als Tanis einen Topf
Fleischbrühe über dem Feuer umrührte, ließ der Rückstoß von
Flints Niesen den Stuhl so gefährlich nach hinten kippen, daß
Tanis hinsprang, um ihn festzuhalten, bevor er umfiel.
»Uff!« grunzte Tanis mit wackligen Knien, als er gegen den
großen Holzstuhl drückte. »Ich weiß ja, daß du nicht allzugroß
bist, Flint, aber beim Gewicht macht sich das nicht
bemerkbar.« Mit einiger Anstrengung richtete er den Stuhl auf,
doch der Zwerg zeigte keine Dankbarkeit.
»Ach, was soll’s, wenn ich umfalle, wo ich doch sowieso
sterbe«, maulte Flint trübsinnig. Er putzte sich mit seinem
Leinentaschentuch – Geschenk der Stimme der Sonne – die
Nase, was sich wie der Klang einer verbogenen Trompete
anhörte. »Dann liege ich wenigstens flach da und bin fertig für
meinen Sarg.« Flint kuschelte sich fester in seine Wolldecke
und steckte seine dicken Zehen wieder in einen dampfenden
Wasserzuber. Obwohl er so nah an den glühenden Kohlen der
Esse saß, konnte ihm die Glut nicht die Kälte aus seinen
Zwergenknochen vertreiben, und seine Zähne klapperten, weil
er so fror.
»So wie’s aussieht, bin ich doch sowieso schon steif vor
Kälte. Könnte genausogut gleich richtig tot sein«, nörgelte
Flint.
»Ich könnte dir etwas Elfenblütenwein heiß machen.«
Flint sah ihn wütend an. »Wieso nimmst du nicht dein
Schwert und beendest mein Leiden einfach kurz und
schmerzlos? Ich trete doch nicht in Elfenparfüm einbalsamiert
vor Reorx!«
»Flint«, erklärte Tanis ernst, »ich weiß, daß es dich furchtbar
enttäuschen wird, aber du hast nur eine Erkältung. Du wirst
nicht sterben.«
»So, und wie kannst du das wissen?« knurrte Flint. »Bist du
denn schon mal gestorben?« Flint ließ einen weiteren
gigantischen Nieser los, bei dem seine Knubbelnase so rot
leuchtete, daß sie der untergehenden Sonne Konkurrenz
machte. Tanis schüttelte nur den Kopf. Immerhin lag eine
gewisse Logik in der Aussage des Zwergs.
»Keine Abenteuer mehr!« brüllte Flint. »Keine Tyloren
mehr. Von mir aus jeden Tag einen Oger. Keine Sla-Mori
mehr. Und keine Spaziergänge im Regen am Rand der
elfischen Version des Abgrunds.« Er machte eine Pause, um
für die nächste Schimpfkanonade Atem zu holen. »Das kommt
alles nur von diesem Bad. Zwerge sind nicht dazu geschaffen,
zwei Tage nacheinander in Wasser eingeweicht zu werden!«
Dieser letzte Satz klang für Tanis mehr wie: »Fwerge find nich
dafu geschaffen, dfwei Dage nacheinander in Waffer
eingeweicht fu werden.«
Kaum zu glauben, daß sie beide erst gestern gemütlich hier
in der Schmiede zusammengesessen hatten, dachte der Halbelf.
Flint schniefte und putzte sich erneut die Nase. Er legte sich
einen warmen Waschlappen auf den Kopf, und sah in seiner
dunklen Decke aus wie ein billiger Mystiker auf einem
Dorfjahrmarkt. »Das ist das letzte Mal, daß ich den Fehler
mache, auf dich zu hören«, grummelte er zum x-ten Mal.
Tanis bemühte sich nach Kräften, sein Lächeln zu verbergen,
während er dem Zwerg heißen Tee eingoß und ihm die Tasse
in die Hände drückte. »Der Regen hat aufgehört. Ich müßte
jetzt eigentlich los und mit Tyresian trainieren.«
»So spät? Gut, also laß mich doch hier allein sterben«, sagte
Flint. »Aber komm bloß nicht wieder und erwarte, daß ich
sage: >Hallo, Tanis, wie geht’s? Komm doch rein
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