Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
daß es dasselbe Pferd war, das Sherrine an besagtem Abend geritten hatte. Wenn Raven hier wäre, könnte er es mit Gewißheit sagen – er kannte sich mit Pferden so gut aus wie sie mit Schiffen. Sofort bedauerte sie, daß ihr langjähriger Freund nicht da war, um ihr den Rücken zu stärken.
Geziert schritt die cassorische Adlige über das Kopfsteinpflaster. Maurynna ging ihr entgegen.
Sie blieben wenige Schritte voneinander entfernt stehen. Zu Fuß mußte die deutlich kleinere Sherrine zu Maurynna aufschauen. Maurynna sagte nichts, sondern starrte nur so kühl sie konnte auf die wunderschöne Frau hinunter.
Otter erschien. Auch er sagte nichts, aber aus dem Augenwinkel sah Maurynna, daß er seine Bardenkette nicht wie üblich unter dem Kragen verborgen trug, sondern für alle deutlich sichtbar über der Tunika. Nun gut, er würde in dieser Sache ihr Zeuge sein. Immer noch abwartend, sah sie wieder zu Lady Sherrine. Sollte doch ihre Feindin den ersten Schritt tun.
Als sie ihn tat, hätte Maurynna beinahe laut aufgelacht. Denn Lady Sherrine bedachte sie mit einer so tiefen Verbeugung, daß selbst die assantikkanischen Höflinge, die für ihre kunstfertigen Tanzschritte bekannt waren, vor Neid erblaßt wären. Maurynna vernahm ein erstauntes Raunen unter den Umstehenden.
Fast hätte sie die ersten Worte der Adligen überhört. »Barde Otter Heronson, seid bitte Zeuge meines heutigen Tuns. Danke.«
Nun trat ein im Livree der Colranes gekleideter Mann vor. Er hielt eine Pergamentrolle in Händen, die mit einer blauen Friedensschleife zusammengebunden war.
Ihr Hausdiener, nahm Maurynna an, mit einer Auflistung der Entschädigung. Als Zeuge trat Otter zu ihm vor. Der Mann reichte dem Barden die Pergamentrolle und ging wieder zurück.
»Kapitän«, fuhr Lady Sherrine fort, »ich möchte mich aus tiefstem Herzen entschuldigen für das, was ich Euch an jenem Abend angetan habe. Mein Jähzorn hätte Euch beinahe ein Auge gekostet. Glücklicherweise fand Linden Rathan jemanden, der Euch half. Nochmals – bitte vergebt mir.«
Die tiefe Stimme war geschwängert mit … Scham? Bedauern? Maurynna war sich nicht sicher. Doch die einzelne Träne, die der Adligen über die Wange rann, sagte ihr, daß Lady Sherrine tatsächlich aufgewühlt war. Liebte sie Linden wirklich? Falls ja, tat sie Maurynna fast leid.
Fast. Sie hatte Lady Sherrine noch nicht vergeben.
»Bitte, nehmt diese bescheidenen Präsente als Zeichen meiner Reue. Ich habe einen Fehler begangen, und dies ist die einzige Möglichkeit, ihn wiedergutzumachen.«
Anmutig winkte eine schlanke Hand die wartenden Packpferde heran. Maurynna fragte sich, ob die Frau überhaupt zu einer Geste imstande war, die nicht anmutig war. Sie wünschte, die elegante Lady Sherrine würde verschwinden. In Gegenwart dieser Frau kam sie sich selbst wie ein Packpferd vor.
Als hätte sie Maurynnas Gedanken gelesen, sagte die Adlige: »Mir ist klar, daß meine Anwesenheit nicht … besonders erwünscht ist, daher werde ich mich mit Eurer Erlaubnis zurückziehen, Kapitän.«
Maurynna sah zu Otter hinüber, der die Schleife von der Pergamentrolle streifte, sie aufzog und rasch überflog. Der Barde war geübt darin, seine Gefühle zu verbergen, doch Maurynna sah, wie seine Augen immer größer wurden. Auch einen kurzen fragenden Blick auf die Packpferde konnte er sich nicht verkneifen. Erstaunt blinzelnd nickte er Maurynna zu.
So, hier und jetzt endete der Krieg zwischen ihr und Lady Sherrine. Maurynna holte tief Luft und gab sich alle Mühe, ihre Stimme aufrichtig klingen zu lassen. »Ich nehme Eure Entschuldigung an, Lady Sherrine, und versichere, daß von diesem Tag an jegliche Animositäten zwischen Euch und mir und meinen Angehörigen ein Ende haben.« Die Worte schmeckten wie fauler Fisch.
Und das Schlimmste stand ihr noch bevor. Sie zwang sich, Lady Sherrine die Hand entgegenzustrecken, die Handfläche nach oben. Nach einem Moment des Zögerns legte Lady Sherrine ihre Hand auf Maurynnas. Maurynna sah auf die makellosen weißen Finger hinunter, die so elegant und zierlich aussahen auf ihren braungebrannten Schwielen. Der Kontrast war so scharf wie eine Schwertklinge.
Otter schob die blaue Schleife locker über die beiden aufeinanderliegenden Hände. Mit der freien Hand nahm Maurynna das Pergament von ihm entgegen, womit sie offiziell bestätigte, daß sie die Entschädigung annahm.
Die letzten Worte waren bitter wie Aloe. »Laßt diese Gaben alle Feindschaft zwischen uns und
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