Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
zu einer schmalen Linie verkniffen, und ihre Augen funkelten düster. Sie musterte ihn kurz, dann sah sie an ihm vorbei.
Nervös rieb er sein Kinn. Seine Finger berührten einen kratzigen Bart. Die Länge überraschte ihn. Wann hatte er sich zum letzten Mal rasiert? Es fiel ihm nicht ein. Seine tastenden Finger trafen auf Unmengen von Barthaaren. Sie fühlten sich fettig an. Er mußte schrecklich aussehen.
Plötzlich übermannte Linden wieder die altvertraute Mattheit, und die eben noch aufflackernde Energie versiegte unter dem Gewicht von Maurynnas mißbilligendem Blick. Er lehnte sich an den Türrahmen und zwang sich zu fragen: »Was tust du hier?«
Den Kopf stolz erhoben, antwortete sie: »Ich habe dir eine Überraschung mitgebracht. Ich glaube, sie wird dir sehr gefallen.«
Verwirrt starrte er auf ihre leeren Hände. »Was meinst du?«
»Laß mich rein, dann sage ich es dir.«
Bevor er protestieren konnte, schob sie sich an ihm vorbei ins Zimmer. Er schloß die Tür und folgte ihr.
Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie muffig die Luft im Zimmer war. Seit seiner Erkrankung hatte er den Dienern verboten, die Fenster zu öffnen. Selbst die Vorhänge waren geschlossen. Daß die Sonne schien, als wäre nichts gewesen, erschien ihm wie ein Hohn.
Das Zimmer stank nach Krankheit. Noch immer hing der säuerliche Geruch dessen, was er ausgeschwitzt hatte, in der Luft. Auch aufzuräumen hatte er den Dienern untersagt. Das Zimmer sah wie ein Schweinestall aus. Überall lagen Kleider herum. Verschwommen erinnerte er sich, daß er einige Male aufgestanden war, um sich anzuziehen, und daß er die Kleider dann auf den Boden geworfen hatte, als es ihm zu anstrengend wurde. Teller mit halb verzehrten Speisen standen auf dem Boden, auf Stühlen und Tischen.
Es war ein Wunder, daß das Zimmer nicht schlimmer roch.
Linden setzte sich aufs Bett, während Maurynna den Raum in Augenschein nahm. Die Aufregung über ihren Besuch ließ nach. Er verkroch sich wieder in sein Elend und starrte zu Boden.
Ihre Stimme klang scharf wie ein Dolch und traf ihn ebenso tief. »Hast du dich nicht lange genug in Selbstmitleid gesuhlt?« fragte sie ihn. »Wird es nicht allmählich langweilig, dich ständig selbst zu bedauern? Schau dich an! Man würde dich nicht mal einen fünftklassigen Rindermarkt betreten lassen.«
Er blickte auf und starrte sie ungläubig an. Er hatte nicht gedacht, daß sie einem am Boden liegenden Mann noch einen Tritt versetzen würde.
Sie stand mit verschränkten Armen da und funkelte ihn an. Dann drehte sie sich um und ging ans nächste Fenster. Sie zog den Vorhang auf. Die Helligkeit trieb Linden das Wasser in die Augen. Nach einem kurzen Kampf mit dem Riegel öffnete sie das Fenster.
Maurynna kam zurück. »Linden, wird es nicht langsam Zeit, daß du aufhörst, den Feigling zu spielen?«
Für einen Moment flammte glühender Zorn in ihm auf, dann erstarb er wieder. »Du verstehst es nicht«, sagte er resigniert.
»Was verstehe ich nicht?« rief sie verärgert. »Warum du dich wie ein Kind auffuhrst?«
Verdrossen sagte er: »Das kann ich dir nicht sagen …«
»Bah! Was kannst du mir nicht sagen? So wie ich die Sache sehe, bist du einfach nur deprimiert, weil ein Echtmensch dich übertölpelt hat – dich, einen Drachenlord!« sagte sie. »Wer immer die Kerle waren, sie haben dich nach allen Regeln der Kunst aufs Kreuz gelegt. Und jetzt kommst du dir wie ein Tölpel vor. So ist es doch, stimmt’s?«
Linden sprang auf. Der Zom war zurück, stärker als zuvor. Dennoch wagte eine leise Stimme in ihm anzumerken, daß sie vielleicht recht hatte. Er ignorierte sie.
Er ballte die Fäuste und brüllte: »Wie kannst du es wagen? Du verstehst überhaupt nichts! Ich bin ein Drachenlord! Ich mache keine Fehler wie …«
»Ach wirklich? Drachenlords begehen also keine Fehler?« Maurynna legte ihm die Hände auf die Brust und stieß ihn zurück.
Er fiel aufs Bett und blinzelte überrascht zu ihr auf.
Maurynna schnitt mit einer Hand durch die Luft. »Und seit wann buchstabiert man Drachenlord Gott? Sag schon, Linden! Sieh den Tatsachen ins Auge – sogar ein Drachenlord kann hereingelegt werden. Sogar ein Drachenlord macht Fehler. Das hätte ebensogut Kief Shaeldar oder Tarina Aurianne passieren können – oder jedem anderen Drachenlord. Vielleicht nicht auf dieselbe Art, aber man hätte auch sie reinlegen können. Und ja, man hat dich zum Narren gehalten – aber das läßt sich nicht mehr ändern. Akzeptiere das, und
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