Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
Zorn.
»Hast du nichts von den Drachenlords gehört?« entgegnete Virienne.
Stirnrunzelnd sagte Rotfalk: »Ja – es hieß heute auf dem Markt, daß Maurynna und ihr Seelengefährte, der, den sie den letzten Drachenlord genannt haben, gestern eingetroffen sind. War Raven bei ihnen? Niemand hat mir etwas gesagt!«
»Ich hörte, daß noch zwei andere Drachenlords sie begleiten«, sagte Honigan und sah Virienne an. »Wer würde Raven schon bemerken, wenn Drachenlords in der Nähe sind?«
»Es sind zwei andere dabei«, bestätigte Virienne, »ebenso wie Otter und noch jemand. Und woher ich das weiß … er ist hierhergekommen, Rotfalk. Gegen Mittag.« Sie holte tief Luft. »Er … er wird aber nicht bleiben.«
»Selbstverständlich wird er das.« Ein Priester, der den Willen seines Gottes von den Tempelstufen verkündete, hätte das nicht mit größerer Überzeugung sagen können. Oder mit größerer Sturheit.
Virienne seufzte. »Er sagte, er werde mit den Drachenlords Weiterreisen.«
Rotfalk schlug mit solcher Wucht auf den Tisch, daß Teller und Besteck hüpften. An seiner Stirn zuckte eine Ader. »Das wollen wir doch mal sehen!« Er stand auf.
Maurynna hatte nicht lauschen wollen, als sie von einem spätabendlichen Besuch in der Speisekammer auf der Suche nach einem Krug Bier und ein paar Gewürzkeksen zurückkehrte. Aber ihre nackten Füße verursachten kein Geräusch auf dem Holzboden, als sie an dem offenen Fenster vorbeiging; jene, die draußen standen, hörten nicht, wie sie näher kam. Sie sprachen leise genug, daß Maurynna, wäre sie ein Echtmensch gewesen, die Stimmen nicht erkannt und erst recht nicht die Worte verstanden hätte.
Aber nun verfügte sie über das scharfe Gehör eines Drachenlords, und sie kannte sowohl die Stimme als auch die Worte. Es war Raven.
Noch während sie dachte: Wie seltsam, ich dachte, er wäre schon längst nach Hause gegangen, begriff sie seine Worte. »Ich kann nicht nach Hause gehen, Meister Kesselandt.« Die Worte kamen schleppend, als wäre Raven sehr erschöpft. »Bitte …«
»Nein«, sagte eine barsche Stimme. Es war nicht Onkel Kesselandt.
Maurynna kniff die Lippen zusammen. Onkel Darijen war niemals ihr oder Ravens Freund gewesen. Sich zu erinnern, wie er Kesselandt beinahe davon überzeugt hatte, daß sie zu jung war, um Kapitän eines Schiffs zu werden, bewirkte, daß ihr vor Zorn wieder ganz heiß wurde.
»Mit allem Respekt, ich habe das Oberhaupt dieser Familie gefragt und nicht Euch.«
Trotz der Erschöpfung lag Stahl ins Ravens Stimme. Maurynna jubelte ihm lautlos zu.
»Unverschämter Welpe! Ich werde dafür sorgen, daß du das bereust.«
»Meister Kessel …«
Onkel Darijen unterbrach ihn. »Du hast diese Segel selbst gesetzt, nun lebe mit dem Kurs, den du dir gewählt hast. Du wirst hier keine Hilfe finden.«
Ihr Götter, welche Erinnerungen diese höhnische Stimme zurückbrachte! All der Spott und die Entwürdigungen, die dieser Onkel ihr im Laufe der Jahre zugefügt hatte. Maurynna stellte das Tablett mit Bier und Keksen auf den Boden. Dann holte sie tief Luft und suchte nach einer Tür.
Linden fragte sich, wo Maurynna mit dem versprochenen Bier und den Keksen blieb, als er hörte, wie sich Hufschlag rasch näherte. Ein später Gast? Unwahrscheinlich. Neugierig, wer um diese Zeit und in solcher Eile noch vorbeikam, ging er zum Fenster, schob den bestickten Vorhang beiseite und spähte in eine Nacht hinaus, die nur von Sternen und einem Sichelmond erhellt wurde.
Ein Diener erschien, als der Reiter im Haupthof vor den Häusern sein Pferd zügelte. Im Licht der Fackel, die der Diener hielt, sah Linden, daß der Besucher ein Mann von etwa Vierzig war. Jede Bewegung, von der Art, wie er dem Stallknecht die Zügel zuwarf, bis zu dem zornigen Reißen am Saum seines Hemdes, kündeten von Zorn. Linden fragte sich abermals, wer in solcher Eile und mit solchem Zorn hierherkam. Doch sicherlich kein unzufriedener Kaufmann? Lleld trat neben ihn ans Fenster und schob sich unter seinen Ellbogen. »Wer ist das?« fragte sie.
»Ich habe einen Verdacht, aber ich bin nicht sicher. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen.«
Jekkanadar spähte über seine Schulter. Während sie zuschauten, zeigte der Diener auf das Mauseloch.
Linden schaute zu Lleld hinab. Sie starrte immer noch aus dem Fenster. Dann begegneten sich ihre Blicke einen kurzen Augenblick, und beide zogen fragend die Brauen hoch.
Wieder sah Linden aus dem Fenster. Drunten spielte das Fackellicht
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