Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
über das Haar des Mannes, als er den Hof überquerte. Auf diese Entfernung und bei so schlechtem Licht konnten nur die scharfen Augen eines Drachenlords das rötliche Schimmern ausmachen. »O zur Hölle!« brummte er und ließ den Vorhang sinken. »Ich weiß, wer das ist.«
Lleld fing den Vorhang ab, spähte noch einmal nach draußen und sagte einen Augenblick später: »Das ist Ravens Vater, nicht wahr? Er sieht so wütend aus wie ein Bär mit einer Biene im Hinterteil.«
»Nicht wahr?« sagte Linden. Tatsächlich hatte er nie jemanden getroffen, auf den dieser alte Satz der Hügelbewohner so gut zutraf. »Das wird häßlich werden.«
»Aber warum ist er hier? Raven ist doch heute früh nach Hause gegangen«, sagte Jekkanadar. Linden fragte sich dasselbe.
Maurynna eilte durch den Nachtfaltergarten mit seinen duftenden Blüten. Es war zwar schon spät im Jahr, aber ein paar der zartflügligen Insekten kümmerten sich immer noch um die Blüten. Sie flatterten durch das matte Mondlicht, hielten bei einer Blüte nach der anderen inne, bei jedem einzelnen weißen Fleck in den Schatten.
Als sie jünger gewesen war, hatte sich Maurynna häufig aus ihrem Dachzimmer davongestohlen, um im Garten zu spielen. In warmen Sommernächten und bei Vollmond war dies ein magischer Ort, ein Ort, an dem alles geschehen konnte.
Aber nun eilte sie hindurch, ohne ihn auch nur wahrzunehmen. Eine Ranke streifte ihre Schulter. Sie schob sie beiseite. Ihr Ziel war der nächste Garten auf der anderen Seite der Geißblatthecke. Sie hoffte, nicht zu spät zu sein; die nächstliegende Tür hatte sich auf der anderen Seite des Hauses befunden, an der die drei Männer sich gestritten hatten. Unter ihren nackten Füßen war der ziegelgepflasterte Weg kratzig, und der scharfe, trockene Geruch der gebrannten Ziegel stand im Kontrast zu der Süße der Blüten und dem üppigen Duft der Erde. Die kühle Nachtluft streichelte ihre Wange wie Seide.
Lleld legte den Kopf schief. »Sollen wir?«
Linden seufzte und sah sich ein letztes Mal in dem kleinen Wohnzimmer um. Er hatte auf einen ruhigen Abend gehofft und früh ins Bett gehen wollen, aber nun … einen Moment lang war er versucht, Raven dem Durcheinander zu überlassen, das er selbst angerichtet hatte. Dann überfiel ihn sein schlechtes Gewissen; es war immerhin um eines Echtdrachen willen, daß Raven nun solchen Ärger hatte.
Er seufzte abermals. Die Götter mochten wissen, wo der Sohn sich aufhielt, aber er konnte immerhin versuchen, dem Vater Vernunft beizubringen. »Bringen wir es hinter uns.« Er ging zur Tür.
Maurynna bog um die Hecke und blieb stehen. Vor ihr standen drei Männer: Raven, ohne Umhang, die Schultern ein wenig gebeugt, aber breitbeinig und trotzig und vor Kälte schaudernd; Onkel Kesselandt fuhr sich mit den Fingern beider Hände durchs Haar, wie immer, wenn er einer schwierigen und unangenehmen Entscheidung gegenüberstand. Und Onkel Darijen, so arrogant wie eh und je und warm in einem dicken Wollumhang, starrte Raven höhnisch an.
»Du bist wohl ein wenig hochnäsig geworden, wie, Junge, und rennst denen hinterher, die über dir stehen. Hast du dich bei Maurynna ausweinen wollen, als deine Yerrin-Verwandten vernünftig genug waren, dich rauszuschmeißen? Und jetzt ist sie deiner müde geworden, hat ihren Seelengefährten und hat dich nach Hause zurückgebracht wie einen ausgerissenen Köter.«
Maurynna ballte die Fäuste. Raven mochte sich in der letzten Zeit wie ein Idiot benommen haben, aber bei den Göttern, er war zu lange ihr Freund gewesen, um jemandem so etwas durchgehen zu lassen. Sie holte tief Luft und zwang sich, den ersten Schritt zu tun.
Aber Darijen war noch nicht fertig; er hatte noch nicht annähernd all sein Gift verspritzt. »Ich würde vorschlagen, daß du zu deinem Vater nach Hause kriechst und ihn anflehst, dich wieder aufzunehmen. Er findet vielleicht einen Platz als Schafhirte für dich, obwohl ich dafür keinen Grund sehe, so undankbar …«
»Das reicht jetzt«, sagte Maurynna. Die Worte – und der Mut, sie auszusprechen – waren von irgendwo tief drinnen gekommen. Sie sprach leise, aber es klang wie ein Peitschenknall. Die drei Männer zuckten zusammen. »Es ist sogar mehr als genug, Onkel Darijen.«
Sie ging auf die drei zu und fühlte sich selbst fremd. Wer war diese Frau, die so selbstsicher den Gartenweg entlangschritt und die einem Mann, von dessen giftiger Zunge sie ihr Leben lang gezittert hatte, befahl zu schweigen? Wer immer sie
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