Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
leer war. Er hob die Hand zur Augenbinde, wartete aber noch.
»Du kannst sie jetzt abnehmen, Hodai.«
Er riß sie herunter. Haoro stand vor ihm; der Priester sah erfreut aus. »Alles in Ordnung, kleines Orakel?«
Hodai holte tief Luft. »Ja.«
Die Stimme, die von seinen Lippen kam, war so schön, daß er beinahe ohnmächtig geworden wäre. Er wäre so gern in Gesang ausgebrochen!
Haoro hatte das offenbar erraten denn er sagte: »Ich denke, das erste, was du singen solltest, sollte das Lied sein, Hodai, um dem Phönix für dieses Geschenk zu danken. Aber wenn du mit den anderen zusammen singst, werden sie Fragen stellen; laß mich zunächst die Bühne für ein ›Wunder‹ des Phönix vorbereiten. Bald wird es Morgen sein. Wenn du dich beeilst, kannst du zum Ostrand des Plateaus gelangen, bevor der Phönix der Sonne sich erhebt. Sing dort, Hodai, in der Wildnis, und ausschließlich dort, bis ich dir anderes erlaube. Hast du mich verstanden?«
»Ja«, hauchte Hodai.
»Dann geh, kleines Orakel, und vergiß nicht – diese Stimme gehört dir, solange der Phönix lebt.«
Hodai warf sich zu Haoros Füßen nieder und küßte sie. Dann sprang er auf und rannte zur Tür.
Heute würde er den Phönix grüßen.
Nachdem Hodai gegangen war, fuhr sich Haoro müde mit den Händen durchs Gesicht. Es gab in dieser Nacht und in der nächsten noch eins zu tun. Er würde eine Weile haben, bis Hodai zurückkehrte, aber er wollte es hinter sich bringen.
Trotz der Müdigkeit, die ihn belastete, bewegte sich Haoro rasch durch die Flure des Tempels, bis er zu der Tür gelangte, die zu den Gemächern des Nira führte. Der Tempelsoldat dort gehörte zu seinen Leuten; er starrte nur geradeaus, als der Priester ins Zimmer schlüpfte. Nachdem er drinnen war, blieb Haoro stehen und lauschte. Leises Schnarchen ertönte aus dem anderen Zimmer. Zufrieden ging Haoro zu dem kleinen Schrank, in dem der Tee und andere Dinge aufbewahrt wurden. Fr öffnete den Schrank und suchte, bis er den lackierten Kasten mit dem Reismehl fand; er wußte, daß Pah-ko gerne Reisbrei aß, wenn er nicht schlafen konnte.
Haoro griff in den Ärmel und zog ein kleines Päckchen aus gefaltetem Reispapier heraus. Er öffnete es und schüttete den Inhalt auf das Reismehl. Wie er angenommen hatte, hatte beides beinahe dieselbe Farbe, und es hätte scharfe Augen gebraucht, um den Unterschied wahrzunehmen.
Zufrieden steckte Haoro das nun leere Päckchen wieder in seinen Ärmel und ging. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit.
19. KAPITEL
Beinahe schwindlig vor Aufregung sah Hodai zu, wie die Farbe des Himmels im Osten sich änderte, wie es erst golden, dann aprikosenfarben schimmerte. Jeden Augenblick nun würde der Rand der Sonne sich über den weit entfernten Horizont schieben.
Warte, warte – nur noch ein wenig … Er sah es!
In dem Augenblick, bevor er den Mund öffnete und die ersten Töne der Morgenhymne sang, wurde der Schwindel erheblich stärker, und er erkannte, daß es der Vorbote einer Prophezeiung war.
Dann erklang, bevor er es aufhalten konnte, seine neue Stimme, und die Welt um ihn herum wurde wieder fest. Zu glücklich, um sich zu fragen, was er in der Vision hätte sehen können, legte Hodai seine ganze Seele in das Lied zur Sonne.
Und als er die ersten Töne sang, wußte er, daß dies die Stimme des Phönix war, und Freudentränen liefen ihm über die Wangen. Nun war er vollständig.
Der Streit dauerte schon viel zu lang. Shima dröhnte der Kopf, und der Mann aus dem Norden zeigte immer noch keine Anzeichen, daß er aufgeben würde.
»Was soll das heißen, ich kann nicht mitgehen?« brüllte Raven. »Selbstverständlich werde ich gehen. Maurynna braucht mich.«
Bei diesen Worten sah er, wie Shima bemerkte, nicht Maurynna an. Hatte er Angst, daß ihr Blick ihn der Lüge bezichtigen würde?
Shima seufzte. Es würde lange dauern, bis er Zhantse verzeihen würde. Dieser Hitzkopf hätte vielleicht das Wort des Schamanen akzeptiert; er würde ganz bestimmt nicht die Worte eines potentiellen Rivalen annehmen. So grundlos es war, sah Shima doch das Mißtrauen in den leuchtend blauen Augen. Er nahm die letzten Reste seiner Geduld zusammen und erklärte abermals: »Ich habe dir doch gesagt: die Farbe für die Haut würde bei dir nicht funktionieren. Nicht bei diesen Sommersprossen; sie werden weiter sichtbar bleiben. Kein Jehangli oder Tah’nehsieh hat welche.«
Lautlos segnete er alle Geister dafür, daß er nicht die helle Haut seiner
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