Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
»Muß ich alleine gehen?«
»Nein«, sagte Zhantse. »Das können wir nicht von dir verlangen.«
Den Göttern sei Dank, dachte sie, beinahe überwältigt vor Erleichterung. Also werden Raven und ich weiterziehen, um …
Der Schamane sagte: »Du wirst bei Neumond weiterziehen; das läßt dir ein paar Tage mehr Zeit, dich auszuruhen, und da er den Weg in Form einer Rezitation auswendig gelernt hat, wird Shima dich begleiten.«
»Wo bist du gewesen?« wollte Raven wissen, als Maurynna schließlich zu Lerches Haus zurückkehrte. Er schaute aus der Öffnung zum oberen Stockwerk auf sie hinunter. »Du hast den Tanz verpaßt. Die Llysanyaner konnten endlich ihre Vorstellung geben.«
»Ich habe mich mit Zhantse, Shima und Miune unterhalten«, antwortete sie müde. Sie schob das Bündel, das sie trug, in die andere Ellbogenbeuge und begann, die Leiter hinaufzuklettern.
»Was ist …«
»Raven … bitte. Ich bin müde. Ich will ins Bett. Ich erzähle es dir morgen früh.«
Einen Augenblick lang befürchtete sie, er würde ihr den Weg blockieren, bis sie es ihm gesagt hatte. Aber er zog sich zurück; sie hörte seine Schritte auf dem Boden aus gestampftem Lehm. Als sie das andere Ende der Leiter erreicht hatte, war sie allein. Sie versuchte, nicht mehr an das zu denken, was sie an diesem Abend erfahren hatte, ging zu ihrer Schlafmatte hinter einem Schirm geflochtenen Rieds und steckte Schwert und Reif unter ihr Kissen. Dann zog sie sich aus und ging ins Bett.
Sie zog die Decken bis ans Kinn und starrte ins Dunkel hinein. So schlimm dieser Abend auch gewesen war, ihr stand noch Schlimmeres bevor. Sie wollte lieber nicht daran denken, wie Raven darauf reagieren würde, wenn sie ihm sagte, daß er sie nicht begleiten durfte … stöhnend drehte sie sich um.
Hodai kniete auf dem Boden, die Augenbinde, auf der Haoro bestanden hatte, bevor er ihn mit hierher genommen hatte, fest um den Kopf geschlungen. Er ballte die Fäuste so fest, daß sie schmerzten. So unauffällig wie möglich drehte er den Kopf von einer Seite zur anderen und versuchte, die leisen Geräusche zu erkennen, die er hörte.
Es waren mehr Menschen im Zimmer als er und der Priester, da war er sicher, aber wie viele es waren, hätte er nicht sagen können. Und obwohl es ihn verängstigte, im Dunkeln zu sitzen, während alle anderen ihn sehen konnten, verstand er den Grund dafür. Das hier war verbotene Magie, und je weniger er von denen wußte, die Anteil daran hatten, desto sicherer waren sie. Nicht jeder hatte einen mächtigen Onkel, der ihn schützte.
Aber was war dieses Schlurfen, dieses Grunzen? Hodai vergaß sich und drehte den Kopf zu den Geräuschen hin. Jemand boxte ihn gegen das Ohr. Hodai zuckte zusammen.
Dann erklangen Worte, die ihn alles andere vergessen ließen: »Wir sind bereit, Heiliger«, sagte eine leise Stimme.
Hodai hörte das leise Zischen von Räucherwerk, das zu brennen begann, und einen Augenblick später drang ihm der süße Duft in die Nase. Dann begann eine Stimme zu rezitieren; andere Stimmen fielen ein, und Hodai spürte eine Art Druck, der sich in der Luft aufbaute. Es drückte gegen ihn, zwängte Ranken in ihn hinein, wie Efeu sich in eine Steinmauer zwängt. Es sang in ihm, bis ihm schwindlig wurde, und er befürchtete, er müsse sich übergeben.
Nur noch trübe hörte er, wie sich eine letzte Stimme dem Chor anschloß – das war Haoros Stimme, die einzige, die er erkannte. Sie hallte in seinem Kopf wider, weiter und weiter, bis es ihm so vorkam, als hätte er hier schon eine Ewigkeit gekniet.
Dann war er sich des Drucks in seiner Brust bewußt, der aufstieg bis in seine Kehle und dort hängenblieb, als versuchte jedes Lied, das er je gehört hatte, nach außen zu brechen. Er hielt staunend und aufgeregt den Atem an.
Aber die Lieder waren gefangen wie eh und je; er hätte am liebsten laut geschrien. Dann erklang ein unterdrücktes Wimmern, ein klatschendes Geräusch, und ein Finger zog mit etwas Heißem, Feuchtem eine Linie über Hodais Kehle.
Und dann geschah es. Seine Kehle war offen. Hodai öffnete den Mund und sang einen hohen, klaren Ton.
Erstauntes Murmeln erklang, und eine Hand legte sich sanft über seinen Mund. Haoro lachte leise und sagte: »Nicht so laut, kleines Orakel! Jemand könnte dich hören. Jetzt bleib sitzen und laß die Augenbinde, wo sie ist, bis ich es dir sage.«
Hodai nickte und wartete in einem Fieber von Aufregung. Geheimnisvolle Geräusche umgaben ihn; dann spürte er, daß das Zimmer
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