Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Shima vor sie. »Ich sollte vorangehen«, meinte er. »Wenn es in diesem Tunnel etwas Gefährliches gibt, wäre es besser, wenn du gewarnt wirst.« Er hatte sich auf den Weg gemacht, bevor sie auch nur widersprechen konnte.
Oder ihn nach dem Zittern fragen, das sie in seiner Stimme gehört hatte. Wußte er von etwas, das in diesem Tunnel lauerte und wovor Zhantse sie nicht gewarnt hatte? Sie tastete nach dem Schwert, das sie unter ihrer Tah’nehsieh-Kleidung verborgen hielt. Den Griff zu spüren tröstete sie irgendwie.
Nicht, daß ein Schwert viel genützt hätte, zum Beispiel gegen einen Bergtroll aus einer von Otters Geschichten – hör auf damit.
Sie folgte Shima.
Sicher waren sie schon seit Tagen unterwegs. Und nun kam eine weitere Wendung in diesem verfluchten endlosen Tunnel, diesmal eine so scharfe, daß sie nichts dahinter erkennen konnte. Maurynna schickte ihre Lichtkugel um den vorspringenden Felsen, der den Umweg erzwang. Die Kugel schwebte vorsichtig um das Hindernis herum, das Licht wurde schwächer, als es ein Stück des Weges zurückgelegt hatte. Dann …
Das Kaltfeuer ging aus. Es war einfach weg. Für Maurynna fühlte es sich an, als wäre es geschluckt worden.
Aber wovon?
»Warum hast du …«, begann Shima.
»Das hatte nichts mit mir zu tun«, flüsterte Maurynna erschüttert. »Etwas … etwas … hat es verschluckt.«
Instinktiv faßten sie sich an den Händen und lauschten. Maurynna hielt den Atem an, und sie wußte, daß Shima dasselbe tat, so daß, was immer das Kaltfeuer genommen hatte, sie nicht finden würde. Sie dachte daran, sich zurückzuziehen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie konnte sich nur an den geringen Trost halten, den ihr die Hand ihres Begleiters gab, und warten.
Dann kam ihr ein Gedanke. Was war, wenn was immer das Kaltfeuer verschlungen hatte, nach Licht suchte? Sie löschte das Kaltfeuer, das Shima in der anderen Hand hielt, damit es nichts anlockte.
Die Dunkelheit senkte sich tausendmal schwerer über sie als zuvor. Shima schnappte nach Luft. Er packte ihre Hand fester. Der Augenblick wurde zu einer Ewigkeit, und Maurynna fürchtete, von der Spannung den Verstand zu verlieren.
Aber nichts griff sie an.
Sie holte schaudernd Luft. Die Luft im Tunnel, die ihr zuvor so staubig und abgestanden vorgekommen war, schien nun süß zu sein. Sie lehnte sich keuchend an einen vorstehenden Felsen. Shima ließ ihre Hand los; sie hörte, wie er sich hinsetzte.
Ein Teil ihres Geistes beschimpfte sie: Feigling! Du bist ein Drachenlord – du solltest keine Angst haben!
Sie entgegnete: Und was nützt es mir hier, ein Drachenlord zu sein? Ich habe nicht einmal Platz genug, um mich zu verwandeln.
Dann kam der nächste Gedanke: Selbst wenn ich mich verwandeln könnte … Sie verfluchte diesen Gedanken und die Welle von Selbsthaß, die ihm wie immer folgte, aber nicht schnell genug.
Nur ihre Willenskraft trieb sie dazu, sich diesem Gefühl zu stellen und ihm den richtigen Namen zu geben. Wenn ich der letzte Drachenlord bin, dann soll es eben so sein. Dann ist das der Wille der Götter. Aber selbst ein vollständiger Drachenlord zu sein würde mir hier nichts helfen; es gibt keinen Platz, sich zu verwandeln; nicht einmal Lleld könnte das hier.
Und wenn sie sich nicht verwandeln konnte, dann würde sie zumindest tun, was jeder andere Drachenlord tun konnte. Sie würde weitergehen. Trotzig rief sie eine weitere Kaltfeuerkugel herbei.
Ihr Herz wäre bei dem Anblick, der sich ihr bot, beinahe stehengeblieben. Denn Shima lag zusammengerollt wie ein Igel auf dem unebenen Boden des Tunnels und zitterte heftig. Sie sank neben ihn auf ein Knie nieder. Die Götter mochten ihnen helfen – was war passiert?
»Shima!« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter; die Haut war kalt und schweißnaß. Er antwortete nicht.
Maurynna, der vor Angst beinahe übel war, fragte sich, was ihrem Begleiter zugestoßen war. Eine Giftschlange? Nein, so tief unter dem Boden war das nicht zu erwarten; etwas ähnlich Tödliches?
»Shima! Was ist los?«
Entgegen aller Hoffnung antwortete er: »Die Felsmauern … sie stürzen ein.«
Seine Stimme war so leise und gedämpft, daß sie ihn kaum hören konnte. Dennoch brachte die Angst ihr Blut fast zum Gefrieren.
Wovon redete er? Hatte er etwas gehört, das ihr entgangen war? Ihre Angst wurde als Reaktion auf seine stärker; wie eine Windbö drohte sie, sie wegzufegen.
Dann erhob sich irgendwo tief in ihr drinnen der gesunde Menschenverstand, um
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