Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Echtdrachen peitschte vor- und rückwärts, und er hielt etwas zwischen den Zähnen. Er sah aus wie ein Welpe, der mit einer Puppe spielt. Aber Puppen schrien nicht wie verfluchte Seelen und fuchtelten nicht mit den Armen.
Gold glitzerte auf, und Maurynna erkannte den Federumhang, der die verhaßte Gestalt in Pirakos’ Erinnerungen umhüllt hatte.
Dann erklang ein feuchtes, unterdrücktes Knirschen. Blut lief dem Echtdrachen über die Kiefer; die Puppe wurde schlaff. Mit einem triumphierenden Heulen warf Pirakos sie beiseite.
Was einmal ein Mann in einem Umhang sonnenfarbener Federn gewesen war, krachte gegen die Wand und glitt nach unten, nur noch ein Haufen von zerrissenem Fleisch und Innereien.
Krallen schlossen sich darum, rissen ihn hoch und warfen ihn gegen die andere Wand, wieder und wieder sprang der Drache von der einen Seite zur anderen, um die Leiche wieder aufzuheben und erneut zu zerschmettern.
Maurynna fragte sich, ob einem Drachen übel werden konnte. Wenn sie noch länger zusah, würde sie das herausfinden. Außerdem erinnerte sie sich an die Spur Tageslicht, die sie zuvor entdeckt hatte; wenn sie an Pirakos vorbeikäme …
Nein. Er war zu groß, er nahm zuviel Raum ein, füllte beinahe den ganzen Tunnel, selbst ohne das wahnsinnige Springen von einer Seite zur anderen, während er den toten Mann herumschleuderte; nun sah er aus wie eine Katze, die mit einer toten Maus spielt. Wieder spähte Maurynna zu dem Tageslicht, das sie lockte.
Es wurde weniger.
Einen Augenblick lang konnte Maurynna nicht verstehen, was geschah. Dann wußte sie es.
Pirakos! Sie schließen die Tore! Wir werden hier gefangen sein …
Für immer.
»Was ist das?« wagte Chuchan zu flüstern.
Amura erwachte aus dem Halbschlaf im Stehen, den jeder Sklave lernte. Sofort schaute er zu den Soldaten in der Nähe, bereit, einen Arm hochzureißen, um einen Schlag abzuwehren.
Hatte Chuchan den Verstand verloren? Er sollte es wirklich besser wissen und …
Aber die Soldaten ignorierten Chuchans Verstoß. Statt dessen konzentrierten sie sich alle auf den Eingang zum Tunnel. Sie warfen einander nervöse Blicke zu.
Amura schlurfte ein wenig näher heran. Auch das ignorierten die Soldaten. Er lauschte so angespannt, daß es sich anfühlte, als wuchsen seine Ohren so lang wie die eines Jehangli-Esels. Dennoch, er hörte nichts, überhaupt …
Nein! Das war ein Schrei; es mußte ein Schrei sein. Keine Rezitation, die er je gehört hatte, war von solcher Panik, solchem … Entsetzen erfüllt gewesen.
Bei den Geistern – was passierte da drinnen? Und was hatten Shima und das Mädchen aus dem Norden damit zu tun?
Mehr Schreie; diesmal bestand kein Zweifel mehr daran, was sie waren. Dann ertönte ein tiefes, rumpelndes Knurren, das von Tod kündete. Amura spürte, wie sich ihm die Haare sträubten.
»Schließt die Tore!« rief der Hauptmann der Torwache. »Um des Phönix willen, schließt die verfluchten Tore!«
Noch während er auf die Soldaten einbrüllte, rannte er zu dem gewaltigen Tor, das ihm am nächsten war, und riß ebenso hektisch wie vergeblich daran. Es war viel zu groß und schwer für einen einzelnen Mann. Nachdem sie einen Augenblick vor Überraschung wie gelähmt dagestanden halten, kamen ihm seine Männer zu Hilfe. Selbst jene, die die Sklaven bewachen sollten, vergaßen ihre Pflicht und warfen sich gegen die Tore.
Zunächst geschah nichts. Aber mit der Panik kam übermenschliche Kraft über die Männer. Die Tore begannen, sich zu bewegen, nur ein winziges bißchen zunächst, dann mehr und mehr. Die Männer schoben und drückten und fluchten; die Tore bewegten sich schwerfällig in ihren Angeln. Bald war die Lücke nur noch so breit, wie der Arm eines Mannes vom Ellbogen bis zu den Fingerspitzen lang ist, dann nur noch eine Handbreit. Männer rannten, um die massive Querstange zu holen, die das Tor, wenn nötig, für immer verschließen würde.
Amura hielt die Luft an. Wünschte er ihnen Glück oder wünschte er sie zur Hölle? Innerhalb von Herzschlägen würde alles vorüber sein; der Querriegel war in Stellung … er war beinahe vorgelegt …
Dann wurden die Tore wieder aufgestoßen, und das mit einer Gewalt, die einen der Flügel aus den Scharnieren riß. Mit einem entsetzlichen Brüllen stürzte ein fleischgewordener Alptraum aus dem Berg.
Die Soldaten hatten ihn gesehen; es gab keine Möglichkeit mehr, zu landen und sie zu überraschen. Nicht, daß Shima tatsächlich die Hoffnung gehabt hatte, daß so
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