Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
bewegte den Kopf hin und her, als er nach dem Ursprung der Luft suchte; ein Laut wie ein verzweifeltes Wimmern erklang.
Mit zitternden Knien fragte Maurynna sich, wie lange es diesmal dauern würde.
Dann hörte sie einen schwachen Hauch einer Stimme in ihrem Kopf sagen: Ich gebe dir uns beide, bevor die Stimme wieder wie ein Nebelhauch verschwand.
Maurynna schloß die Augen und ließ sich ins Nichts fallen.
Die ersten Priester marschierten in die klaffende Höhlenöffnung, ihre Hymne nun ein Triumphgesang. Die Sänfte schwankte hinter ihnen her, als die kräftigen Priester, die sie trugen, vorwärts schritten. Haoro zupfte den gefiederten Mantel zurecht und setzte sich ein wenig aufrechter hin, so daß ihn alle im Augenblick seines Ruhmes sehen konnten.
Er blinzelte, als sie die dunkle Höhle betraten und das Tageslicht zurückließen. Nun gingen sie den riesigen Tunnel entlang, und das Lied der Priester dröhnte in seinen Ohren wie das Tosen eines Wasserfalls.
Pirakos erinnerte sich wieder an sie. Aber sobald der große Kopf sich ihr zuwandte, wurde er überrascht zurückgerissen. Maurynna stürzte sich auf ihn. Sie trafen aufeinander, Brust gegen Brust, ihre Schuppen klirrten und zischten, als sie aneinander abglitten. Sie war viel kleiner als er, aber Maurynna hatte Pirakos überrascht. Sie griff mit Zähnen und Klauen an.
Tiefer und tiefer marschierten sie in den Berg hinein. Haoro gab seiner Neugier nach und warf einen raschen Blick über die Schulter.
Die Öffnung sah kleiner aus, als er gedacht hätte; sie hatten schon eine große Entfernung zurückgelegt. Ein Schauder überlief ihn, als er daran dachte, was nun nicht mehr weit entfernt lag: eine Biegung im Tunnel. Sobald sie diesen Punkt erreicht hatten, würden sie vollkommen im Dunkeln sein und nur noch die Fackeln zwischen ihnen und der ewigen Nacht liegen.
Das hatte sie sein sollen! Wie bei dem einzigen anderen Mal, als sie sich verändert hatte, wußte Maurynnas Drachenkörper instinktiv, was zu tun war. Aber diesmal führte sie auch ihr menschlicher Geist. Sie erinnerte sich daran, einmal gesehen zu haben, wie eine Schwanenmutter ihre Brut gegen einen hungrigen Hund verteidigte, wie der Vogel den Hund wieder und wieder mit seinen mächtigen Flügeln zurückgeschlagen hatte. Am Ende war der Hund geflohen, aber nicht bevor der Schwan ihm ein Bein gebrochen hatte. Es widerstrebte all ihren Instinkten, ihre kostbaren Flügel aufs Spiel zu setzen, aber sie machte dasselbe mit Pirakos und drosch ihm das Gelenk eines Flügels an die Schläfe.
Au! Das war schlimmer, als sich den Ellbogen zu stoßen!
Pirakos brüllte verblüfft auf und wich zurück. Das wahnsinnige Glitzern in seinen Augen wich dem Staunen. Er sah in diesem Augenblick vollkommen irritiert aus, wie ein Kind, das auf einem Markt seine Mutter verloren hat, so daß er ihr beinahe leid tat. Es hielt sie allerdings nicht davor zurück, nach seiner Kehle zu schnappen, um ihn weiter zurückzutreiben.
Pirakos taumelte rückwärts. Bevor sie noch einmal angreifen konnte, hatte er den Kopf hochgerissen und schnupperte mit jämmerlicher Gier nach der frischen Luft. Sie hielt inne; es war deutlich, daß der Echtdrache wieder vergessen hatte, daß sie überhaupt da war.
*Luft! Frische Luft! Freiheit!* plapperte Pirakos wieder und wieder, und die ganze Zeit schnupperte er in die Luft wie ein Jagdhund. *Dort, dort, dort!* Schwerfällig rannte er davon, und die Ketten rasselten hinter ihm her. *Das ist der Weg, ich weiß es, ich weiß es*, wimmerte er hektisch.
Ein Wirbelwind von Bildern kam aus seinem Geist: die lange, lange Zeit, in der es nichts gab, dem er lauschen konnte, außer dem Schlagen seines eigenen Herzens und dem Rasseln der Ketten. Schreiende Menschen, die zur Strafe für Verbrechen in die Höhle gestoßen wurden; die Glücklicheren davon starben sofort unter seinen Klauen. Die Unglücklichen entgingen ihm irgendwie, nur um in den Höhlen den Verstand zu verlieren und zu verhungern. Die unvorstellbare Schrecklichkeit, Menschenfleisch zu essen – er, dessen bester Freund einmal selbst ein Mensch gewesen war; aber es war entweder das oder verhungern. Aber das bitterste von allem war die Erinnerung an in Seide gekleidete Menschen, die im Lauf der Jahrhunderte hin und wieder diesen Weg entlangkamen, einen einzelnen Mann in einer Sänfte trugen, einen, der einen Mantel aus goldenen Federn um die Schultern hatte. Ein Mann, der sich an den Rand seines Gefängnisses stellte, auf ihn
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