Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
KAPITEL
»Maurynna! Maurynna – warte!« Maurynna schaute über die Schulter zurück. Sturmwind war stehengeblieben, und Raven sprang aus dem Sattel. »Was ist los?« rief sie, als Boreal langsamer wurde und sich umdrehte. Angst ergriff sie, denn Raven hob eins von Sturmwinds Vorderbeinen.
»Ich glaube, es ist ein Stein«, sagte Raven. »Er ist plötzlich gestolpert und stehengeblieben.«
Sturmwind nickte. Raven richtete sich wieder auf und wühlte in einer Satteltasche. »Schon gut, Junge – den werden wir schneller herausholen, als mein Onkel Fuchs sein Bier trinkt«, sagte er und nahm einen Hufkratzer zur Hand. Die Anspannung in seiner Stimme widersprach seinen lässigen Worten. Wieder beugte er sich über den Fuß, den Sturmwind für ihn hob, und machte sich an die Arbeit. Nachdem sie sich umgesehen hatte wie eine nervöse Eule, blieb Maurynna sitzen und schaute nervös zu, wie Raven arbeitete.
Die Zeit verging. »Verflucht«, fauchte er, »das kleine Ding sitzt verdammt tief.«
Dann hörte Maurynna die Geräusche, die sie befürchtet hatte: das Klirren von Rüstungen, das tiefe Dröhnen von Männerstimmen. Ihre Verfolger waren noch ein Stück entfernt, aber sie hatten wertvolle Zeit verloren. »Raven«, sagte sie leise und angespannt. »Beeil dich.«
»Ich versuche es ja«, fauchte er. Und dann: »Da!«
Er ließ Sturmwinds Fuß los. Der Hengst machte ein oder zwei vorsichtige Schritte. Selbst Maurynna sah, daß er ein wenig hinkte. Aber der Llysanyaner berührte seinen Reiter mit der Nase und stellte sich zurecht. Raven begriff und stieg in den Sattel.
»Wir werden langsamer reiten müssen«, sagte Raven und übernahm die Führung.
Maurynna ließ Sturmwind das Tempo bestimmen. Der Llysanyaner tat, was er konnte, aber sie war beunruhigt. Hin und wieder brachte der Wind die Geräusche der Soldaten, die ihnen folgten, mit sich; einmal glaubte sie sogar, Tarens Stimme zu erkennen, und jedesmal erklangen die Geräusche aus größerer Nähe.
Sie ritten langsam weiter. Zu langsam – ihr Feind folgte ihnen wie Hunde der Spur eines verwundeten Hirschen.
Dann geschah es. Als sie einen weiteren Hügelkamm erreichten, hörten sie hinter sich einen Schrei.
Sturmwind versuchte schneller zu hinken; Boreal kam neben ihn. Sie ritten weiter, aber wegen Sturmwinds Huf hatten die Llysanyaner nur das Tempo gewöhnlicher Pferde.
Es war wie in einem Alptraum. Einer von jenen Träumen, in denen man, ganz gleich, wie sehr man es versuchte, nur kriechen konnte, während das Ungeheuer hinter einem sich bewegte wie der Wind, und jedesmal, wenn man über die Schulter schaute, kamen die triefenden Reißzähne näher. Maurynna hatte solche Alpträume gehabt und sie gehaßt. Nun lebte sie in einem.
Ein weiterer Blick zurück; sie sah, daß Raven dasselbe tat. Ihre Verfolger peitschten auf ihre Pferde ein. Es war nur noch eine Frage der Zeit.
Raven griff nach dem langen Dolch, der an seinem Sattel hing. »Flieh, solange du noch kannst!« rief er über den dröhnenden Hufschlag hinweg. Er zügelte sein Pferd.
»Sturmwind, lauf weiter!« befahl Maurynna, dann sagte sie: »Sei nicht dumm – was wird dieser Dolch gegen Schwerter nützen? Wenn du stehenbleibst, warte ich ebenfalls.«
»Du störrische …« Er schaute zurück. »Sie haben uns beinahe erreicht! Reite!«
Sturmwind tat, was er konnte, aber Maurynna wußte, daß es vergeblich war. Jeden Augenblick würden die Jehangli-Soldaten sie einholen. Sie griff nach ihrem eigenen Dolch. Wenn schon nichts anderes, dann würde sie sie entweder zwingen, sie zu töten, oder sich selbst das Leben nehmen.
Als sie die Hand um den Dolchgriff schloß, geschah es wieder. Ein Gefühl wie ein Band aus feuchter, glitzernder Dunkelheit schlug in Maurynnas Kopf ein. Damit kam der scharfe Befehl: „Direkt nach Westen und über den Fluß!*
Sie drückte Boreal die Fersen in die Flanken. »Wir haben eine letzte Chance!« rief sie.
Sturmwind holte sie ein; Maurynna betete, daß der Fluß, den sie suchten, nicht weit entfernt war. Sie hatte keine Ahnung, wie lange der Llysanyaner dieses Tempo noch aushalten konnte. Länger, hoffte sie, als ihre Verfolger, die wieder zurückfielen, wenn man nach ihrem Geschrei gehen konnte.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber sie wußte, daß es nicht weiter als eine Meile war, bis sie den Fluß sah.
»Zum Fluß!« schrie Maurynna.
Die Llysanyaner rasten über die flache Hochwasserebene. Maurynna konnte hören, wie Sturmwind bei jedem Schritt
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