Drachenmagier
nicht…«
Sabia spähte vorsichtig über den Sims, um nicht
selbst entdeckt zu werden.
Alake streckte kühn
den Kopf aus der Öffnung. Zum Glück waren unsere
Eltern abgelenkt und schauten
in eine andere Richtung.
»Ein Bote ist
gekommen«, berichtete sie.
»Und hat eine
königliche Konferenz unterbrochen?« Sabia war
schockiert.
Ich entdeckte einen
Hocker, zog ihn unters Fenster und stieg hinauf. Jetzt konnte ich den
kreidebleichen Lakaien sehen, der entgegen allen Regeln des
Protokolls
tatsächlich auf die Terrasse gestürmt war. Er machte
einen verstörten Eindruck,
als er sich vorbeugte, um Eliason etwas ins Ohr zu
flüstern. Der Elfenkönig
lauschte mit gerunzelter Stirn.
»Bringt ihn her«,
befahl er schließlich.
Der Mann eilte davon.
Eliason wandte sich
seinen Freunden und Verbündeten zu. »Einer
unserer Kuriere ist unterwegs
angegriffen und offenbar schwer verwundet worden. Er bringt
eine Botschaft,
die für uns alle bestimmt ist, die wir am heutigen Tag hier
versammelt sind.
Ich habe Anweisung gegeben, ihn herzubringen.«
»Wer hat ihn
angegriffen?« fragte Dumaka.
Eliason zögerte einen
Moment, dann sagte er: »Drachenschlangen.«
»Eine Botschaft ›für
uns alle, die wir am heutigen Tag hier versammelt
sind‹«, wiederholte mein
Vater ernst. »Ich hatte recht. Sie beobachten uns.«
»Der Preis«, sagte
meine Mutter. Es waren ihre ersten Worte seit Beginn der Konferenz.
»Ich begreife das
nicht.« Eliason schüttelte ratlos den Kopf.
»Was können sie wollen?«
»Wir werden auf die
Lösung des Rätsels nicht lange warten
müssen.«
Sie sagten nichts
mehr, sondern warteten schweigend und vermieden es, einander
anzuschauen, denn
es war kein Trost, die eigene Bestürzung in den Gesichtern der
Freunde
widergespiegelt zu sehen.
»Wir sollten nicht
hier sein. Wir sollten das nicht tun«, meinte Sabia
plötzlich. Sie war blaß,
ihre Lippen zitterten.
Alake und ich schauten
sie an, schauten uns an, schauten zu Boden. Sabia hatte recht. Unsere
Eltern zu
belauschen war für uns immer ein Spiel gewesen;
etwas, worüber wir kichern
konnten, nachdem sie uns abends zu Bett geschickt hatten. Jetzt war es
kein
Spiel mehr. Ich weiß nicht, wie es den anderen beiden ging,
aber ich empfand es
als beängstigend, meine Eltern, die mir immer so stolz und
klug vorgekommen
waren, hilflos und verzweifelt zu erleben.
»Wir sollten gehen«,
drängte Sabia, und ich wußte, sie hatte recht,
trotzdem konnte ich ebensowenig
von meinem Hocker hinuntersteigen, wie zum Beispiel aus dem Fenster
fliegen.
»Gleich«, sagte Alake.
»Nur noch einen Moment.«
Wir hörten das
Geräusch langsamer, schwerer Schritte. Unsere Eltern
hatten sich erhoben; die
sorgenvolle Miene war dem Ausdruck ernster Strenge gewichen. Mein Vater
glättete seinen Bart. Dumaka verschränkte die Arme
vor der Brust. Delu nahm
einen Stein aus der Tasche an ihrem Gürtel und drehte ihn in
der Hand, während
sie stumm die Lippen bewegte.
Sechs Elfen näherten
sich, die eine Bahre trugen. Sie gingen vorsichtig und langsam, um dem
Verletzten nicht durch Erschütterungen Schmerzen
zuzufügen. Auf einen Wink
ihres Königs setzten sie die Bahre behutsam vor ihm auf den
Boden.
Begleitet wurden sie
von einem Medikus. Ich sah, wie er aus den Augenwinkeln einen Blick auf
Delu
warf; vielleicht fürchtete er, sie könne sich
einmischen. Die Heilkunst von
Elfen und Menschen ist sehr verschieden, erstere basiert auf
gründlicher
Kenntnis der Anatomie in Verbindung mit Alchemie, letztere kuriert
Verletzungen
und Krankheiten mittels sympathetischer Magie: Beschwörungen,
um böse Geister
auszutreiben; bestimmte Steine, die auf lebenswichtige
Körperteile gelegt
werden. Wir Zwerge verlassen uns auf den Einen und unseren gesunden
Menschenverstand.
Als er merkte, daß
Delu keine Anstalten machte, sich seinem Patienten zu nähern,
gab der Medikus
seine steife, feindselige Haltung auf. Oder vielleicht hatte er
plötzlich
begriffen, daß es keinen Unterschied machte, ob die Zauberin
versuchte, mit
ihrer Magie etwas zu bewirken. Uns und jedem der Anwesenden war
offenbar, daß
nichts auf dieser Welt den sterbenden Elf retten konnte.
»Nicht hinschauen,
Sabia«, warnte Alake, zog den Kopf zurück und
versuchte, unserer Freundin den
grauenhaften Anblick zu ersparen.
Zu spät. Ich hörte,
wie Sabia der Atem stockte, und wußte, daß sie es
gesehen hatte.
Die Kleider des
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