Drachenmeister
Blick zu, weil sie ihn mitten im Satz unterbrochen hatte. »Wenn ich ihm nicht ständig von meinen Echsen erzählt hätte, wäre er vielleicht nie in Versuchung geraten, dieses Ei zu stehlen!« Sie schaute verwirrt auf, weil beide Männer schallend loslachten.
»Menolly, Piemur hat lange vor deiner Ankunft in der Harfnerhalle die schlimmsten Streiche ausgeheckt«, sagte Sebell. »Du hast im Gegenteil eine sehr erzieherische Wirkung auf den
Lausebengel ausgeübt. Aber in einem Punkt dürftest du recht haben: Piemur wird wohl nicht auftauchen, ehe er die kleine Echse für sich gewonnen hat. Und Toric ist jetzt eingeweiht. Er wird nach ihm suchen.«
Der Meisterharfner stand auf und griff nach seiner Reitjacke. »Ich begebe mich inzwischen zu Baron Deckter und helfe ihm ein wenig, Ordnung auf Nabol zu schaffen.«
KAPITEL 9
Piemur wusste später selbst nicht recht, weshalb er vor den Drachenreitern weggelaufen war. Aber seit sein Stimmwechsel eingesetzt hatte, schien er sich beständig auf der Flucht zu befinden. Vielleicht stellte er unterbewusst einen Zusammenhang zwischen den Drachenreitern des Südens und Baron Meron her - und er hatte nicht die geringste Lust, auf jemanden zu stoßen, der mit Baron Meron in Verbindung stand. Wie dem auch sein mochte, er lief an jenem Abend durch den Dschungel, bis ihn die Atemnot, Seitenstechen und die Dunkelheit zum Stehenbleiben zwangen. Er ließ sich zu Boden sinken, bereitete der kleinen Echse ein bequemes Lager und schlief ein.
Bereits im Morgengrauen weckte ihn Farli, wie er die kleine Königin genannt hatte, und schrie ihm zornig ihren Hunger entgegen. Er beruhigte sie mit ein paar frischen Rotfrüchten, die noch kühl von der Nachtluft waren und ein süßes Aroma verströmten. Dann wandte er sich nach Norden, wieder der Küste entgegen. Er brauchte Fische für Farli. Als er sich durch das Unterholz kämpfte, stolperte er über einen toten Renner, den bereits wilde Tiere angenagt hatten. Farli kreischte vor Entzücken und hackte mit dem kleinen Schnabel Fleischbrocken aus dem Kadaver, die sie gierig verschlang.
»Du erstickst mir noch!«, schalt Piemur und begann, das Fleisch mit dem Messer in kleine Bissen zu zerteilen. Die Königin fraß so schnell, dass er Mühe hatte, mit ihrem Appetit Schritt zu halten.
Als Farli sich endlich auf Piemurs Schulter zusammenrollte, satt und mit prall gespanntem Bäuchlein, schnitt der Harfner ein großes Stück Fleisch aus dem Kadaver, wob aus langen Gräsern ein Tragnetz und wickelte den Vorrat darin ein. Allem Anschein nach hatte der Sporenregen den Renner überrascht und getötet. Das wiederum bedeutete, dass das Fleisch noch nicht verdorben sein konnte, denn es lag erst seit einer Nacht im Dschungel. Ganz abgesehen davon, dass Piemur eine Abwechslung seiner eintönigen Kost begrüßte, war rohes Fleisch für Farli gesünder als Fisch.
Piemur beschloss jedoch, den größten Teil des Fleisches so bald wie möglich zu kochen, damit es in der Hitze nicht verdarb. Deshalb sammelte er auf dem Rückweg zur Küste trockenes Laub und Zweige, mit denen er ein Feuer anfachen wollte. Er wanderte die ganze Zeit ungefähr nach Norden, und so war er einigermaßen verblüfft, als er durch die Bäume zu seiner Linken Wasser glitzern sah. Er blieb stehen und starrte hinüber. Konnte er sich so in der Richtung getäuscht haben? Oder gab es mitten im Dschungel einen See? Nun gut, wenn er so nahe am Wasser war...
Er arbeitete sich durch das Unterholz. Der Wald wurde lichter und Piemur erreichte eine kleine Anhöhe. Zu seinen Füßen erstreckte sich eine weite Flussniederung. Eine wellige Grasebene, hier und da unterbrochen von graugrünen Buschdickichten, reichte bis ans Wasser und setzte sich jenseits des Flusses fort, der allmählich breiter wurde, bis er irgendwo in der hitzeflimmernden Ferne ins Meer mündete. Eine sanfte Brise trug ein herbes Aroma zu ihm herüber, das ihm merkwürdig vertraut vorkam. Piemur blinzelte in die Sonne. Er sah Herdentiere auf den üppigen Weiden zu beiden Seiten des Flusses. Dabei waren hier erst gestern Fäden gefallen! Und kein Drachenreiter hatte das Land vor den Sporenklumpen geschützt, die sich ins Erdreich gruben!
Kopfschüttelnd stocherte Piemur mit einem der Äste, die er unterwegs aufgelesen hatte, in den Boden und hob ein Grasbüschel hoch. Würmer lösten sich aus den Wurzeln und flohen unter die Erde. Piemurs Achtung vor den kleinen grauen Geschöpfen wuchs. Sie schafften es ganz allein, eine riesige
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